Die Himmelsbraut
nicht länger zur Last fallen. Dann sollte ihr Platz eben künftig an der Seite ihrer Schwester und dieser ihr unbekannten Muhme sein.
Jetzt allerdings, angesichts des herrlichen Landstrichs vor ihren Augen, brach dieser Trotz in sich zusammen. Wie zum Hohn zeigte ihr der Herrgott an diesem fast spätsommerlich warmen Tag noch einmal die ganze Schönheit seiner Schöpfung, nur um sie schon bald für immer von ihr fernzuhalten, sie einzusperren hinter hohen Mauern. Wie weh dieser Anblick auf einmal tat!
Sie wandte den Kopf zur Seite und begann still zu weinen.
«Das Gebirge hier rechts heißt Kaiserstuhl», hörte sie Ritter Markwart sagen. «Auf der anderen Seite ist gewissermaßen sein kleiner Bruder, der Tuniberg. Und schau, dort vorne auf dem Bergstock, das ist keine Festung, sondern Breisach.»
Unwillkürlich entfuhr ihr ein Schluchzen. Markwart von Holderstein sah sie erschrocken an. «Ach, Antonia, mach es dir und mir doch nicht so schwer. Marienau ist eines der bedeutendsten und reichsten Klöster im Breisgau, es wird dir an nichts fehlen. Und Lucia Störkin, die Äbtissin, ist eine gute Frau. Du tust grad, als würde ich dich in einen Gefängnisturm verfrachten.»
«Verzeiht, Ritter Markwart.» Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. «Ich bin einfach nur müde von dem langen Ritt.»
Der Ritter nickte. «Wir sind bald da. Die Abtei liegt vor den Toren der Stadt. Siehst du den Hügel links von Breisach?»
«Ja.»
«Die Mauern am Fuß des Hügels – das ist Marienau.»
Er wies Johann, den älteren seiner beiden Edelknechte, an, vorauszureiten und ihre Ankunft im Kloster anzumelden. Mitsamt dem Packpferd, das, wie Antonia wusste, ihre Bettwäsche und Vorräte für ein kleines Festessen trug, trabte er davon, während sie sich langsam der wehrhaft befestigten Stadt näherten. Breisach wirkte tatsächlich mehr wie eine Burganlage denn eine Stadt, wobei die einzigen Städte, die sie kannte, Oberkirch und Offenburg waren. Deutlich war eine Aufteilung in Unter- und Oberstadt auszumachen, und ganz droben über den Mauern und Dächern ragte ein riesiges Gotteshaus mit zwei Kirchtürmen in den abendlichen Himmel.
Am Tor zur Vorstadt zügelte der Ritter sein Pferd.
«Du reitest in die Oberstadt», wandte er sich an den verbliebenen Knecht, «und fragst dich Zum Löwen durch, wo wir Quartier nehmen werden. Lass dir was Gutes auftischen, der Koch versteht seine Kunst. Bei mir kann es spät werden.»
Mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete sich der Edelknecht. Antonia sah ihm nach, wie er im Dunkel des Torbogens verschwand. Nur einen Steinwurf weiter links begann im rechten Winkel zur Stadtmauer die Umfriedung des Klosters. Mit mehr als mannshohen Mauern aus moosbewachsenen Buckelquadern, die mit Türmen und bedachtem Wehrgang bestückt waren, wirkte Marienau gerade so stark befestigt wie die Stadt.
Schweigend ritten sie den Weg längs der Klostermauer entlang. Antonia war, als würde ihr gleich der Kelch mit dem Armesünderwein gereicht werden. Nachdem sie um eine weitere turmbestückte Ecke gebogen waren, gelangten sie vor den mächtigen Torbau von Marienau. Die schweren, eisenbeschlagenen Eichenholzflügel des Wagentors waren ebenso verschlossen wie die Fußgängerpforte. Von drinnen war kein Geräusch zu hören.
Sie stiegen vom Pferd. Ritter Markwart läutete dreimal die Glocke, die an der Mauer neben dem Pförtnerfenster hing. Die Luke öffnete sich, und hinter dem Gitter erschien der Umriss eines Gesichts.
«Ritter Markwart von Holderstein und sein Muntling?», fragte eine tiefe Frauenstimme. Die Worte hallten wie aus einer Gruft heraus.
«Ja, Schwester Pförtnerin».
«Dann kommt herein.»
Mit einem scharfen Knall fiel die Klappe wieder zu. Kurz darauf öffneten sich mit lautem Ächzen die Torflügel. Antonia dachte an die Worte des Ritters und begann am ganzen Körper zu zittern. Nein, das hier war kein Gefängnisturm, in den man sie führte, sondern Schlimmeres. Sie hatte das Gefühl, bei lebendigem Leib zu Grabe getragen zu werden.
9 Ankunft bei den Cistercienserinnen von Marienau, Ende September 1520
S o steht denn, meine liebe Antonia, deiner Aufnahme in unser ehrwürdiges Kloster nichts mehr im Wege.»
Damit war die Befragung, ob Antonia freien Standes, ehelich geboren und körperlich gesund sei, ob sie schulische Bildung genossen und bereits anderweitig ein Gelübde geleistet habe, zu Ende. Die Äbtissin lächelte freundlich. Sie war eine ungewöhnlich große und dabei
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