Die Himmelsbraut
Holderstein gemacht habt. Dennoch hätte ich noch eine große Bitte.»
Graf Wilhelm, der nur wenig älter war als sein Bruder Wighart, nickte. «Sprich.»
«Ich möchte die Stelle sehen, wo unser Verwalter zu Tode gekommen ist. Es liegt auf dem Weg.»
Erstaunt hob der junge Graf die Brauen. «Dieser Meuchelmord geht dir wohl sehr nahe?»
«Ja.»
«Eine schlimme Sache.» Das freundliche, rosige Gesicht des Grafen verdüsterte sich. «Dem jungen Oberthann bin ich einmal begegnet. In Freiburg war das, als ich an der dortigen Universität meinen Bruder besucht hatte. Bernward ist – Bernward war sehr gebildet und von starkem Charakter. Ihm hätte Großes bevorstehen können.»
Phillip wollte sich bedanken, doch die Kehle war ihm wie zugeschnürt. So nickte er nur.
Schweigend ritten sie das letzte Stück durch den Weinberg hinab, umrundeten das Dorf und bogen auf die Fahrstraße entlang des Durenbachs ein. Phillip blieb nun an der Seite des Grafen.
«Dort vorn muss es sein.»
Er deutete auf die Stelle zwischen Wald und Bergflanke, die jetzt, in der warmen Nachmittagssonne, so gar nichts Bedroh‑liches hatte. Phillip ließ sich vom Pferd gleiten und drückte dem Knecht die Zügel in die Hand. Er wusste, dass es am Tag des Überfalls geregnet hatte, doch als er den sandigen Weg ablief, stieß er schon bald auf dunkle Flecken.
Hier also hatten sie den Tod gefunden, vier Menschen, die er seit seiner Kindheit kannte. Und Antonia hätte ums Haar das gleiche Schicksal getroffen. Er kniete nieder, seine Hand streifte den dunklen Sand. Ein paar Schritte weiter fand sich noch ein großer Fleck, dazwischen viele kleinere. Das Gras am Wegesrand war von Pferdehufen zertrampelt, im Gesträuch darüber hing ein Fetzen Stoff. Er richtete sich auf, sprach ein Ave-Maria und bekreuzigte sich. Dann trat er zu dem Busch am Wegesrand. Mit zitternden Fingern entriss er den dornigen Zweigen zwei Streifen von roter und blauer Seide. Der bunten Farbe nach mochten sie dem Wams von Bernward entstammen, der in seinem Versuch, den Angreifern auszuweichen, in diesen Dornbusch geraten war.
Verzweifelt versuchte Phillip, sich der grauenvollen Bilder zu erwehren, die der Bericht seines Vaters nun in ihm wachrief. Albrecht von Oberthann war von einem Dolchstoß mitten ins Herz getötet worden, genau wie seinem Sohn war ihm ein qualvoller Todeskampf erspart geblieben. Nicht so dem Altknecht, der noch gelebt hatte, als der Hirte ihn fand. Sein Körper war von Messerstichen übersät gewesen, er hatte Blut gespuckt und geröchelt, ohne sagen zu können, wer diese Gräueltat getan hatte. Bis Hilfe eingetroffen war, war auch er hinüber gewesen. Nicht weit von ihm hatte das Kammerfräulein gelegen, tot, mit verrenkten Gliedern und abgeschürftem Gesicht, indessen ohne Wunden. Vielleicht hatte ja ihr Herz vor Angst zu schlagen aufgehört. Und Bernward … Phillip schloss die Augen und krampfte die Hände zu Fäusten zusammen. Die Wucht des Schwerthiebs gegen seinen Hals war so stark gewesen, dass Kopf und Leib zwei Mannslängen voneinander entfernt gelegen hatten.
Die Pferde hinter ihm begannen unruhig zu schnauben. Phillip gab sich einen Ruck. Da fiel sein Blick auf ein Stück Metall im Unterholz, das im Sonnenlicht aufblitzte. Es war ein Dolch. Nachdem Phillip Klinge und Griff vom Schmutz befreit hatte, wurde er stutzig. Wie kam dieser Dolch hierher?
«Junker Phillip!», hörte er den Ritter rufen. «Es reicht jetzt. Wir müssen weiter.»
8 Abschied vom Gutshof Holderstein, Ende September 1520
D rei Wochen nach dem Überfall war Antonia wieder halbwegs bei Kräften. Erstmals hatte Hieronimus Negelin ihr erlaubt, hinaus an die frische Luft zu gehen, und so war sie an seinem Arm Schritt für Schritt die drei steilen Treppen bis in den Burghof hinuntergestiegen und von dort hinüber zur Vorburg gehumpelt. Dann hatte sie den Medicus gebeten, sie allein zu lassen.
Die Luft roch nach Stallmist und ein wenig nach Herbst. Fast gierig füllte sie ihre Lungen, die endlich nicht mehr schmerzten beim Atemholen, während sie langsam die Graswege zwischen den Stallungen und Werkstätten entlangging, von neugierigen Schafen und Schweinen verfolgt. Als leichter Schwindel ihr in den Kopf stieg, setzte sie sich auf die steinerne Bank im Burggarten und streckte ihr Gesicht der milden Mittagssonne entgegen.
Sie spürte, dass sie noch zu schwach war, um zu Fuß den steilen Abstieg hinunter ins Dorf oder gar noch weiter zum Gestüt zu bewältigen. Noch kein
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