Die Himmelsbraut
der kalten Jahreszeit schon ein Feuer flackerte.
«Zunächst einmal», übernahm sein Vater das Wort, «will ich dir vorschlagen, morgen den Friedhof zu besuchen. Wighart würde dich im Einspänner hinfahren. Möchtest du?»
Ihr Atem ging unwillkürlich schneller. Schon der Gedanke, vor den Gräbern zu stehen und die Leichname unter der frischen Erde zu wissen, war kaum zu ertragen. Aber es war an der Zeit.
«Ja», presste sie hervor. «Ich danke Euch. Überhaupt möchte ich Euch für alles danken, was Ihr für mich getan habt.»
Der Ritter machte eine abwehrende Handbewegung.
«Du weißt ja, dass ich jetzt, wo deine beiden Eltern tot sind, die Muntschaft über dich innehabe. Das ist der eigentliche Grund, warum ich dich hergebeten habe.» Er wippte unruhig auf seinem Schemel hin und her. «Nun denn – dein Vater hat zu Lebzeiten eine gewisse Summe an Silber für dich und Bernward zurückgelegt und mir anvertraut für den Fall seines Todes. Wighart und ich haben lange überlegt, was für deine weitere Zukunft das Beste sein könnte.»
Antonia begann zu zittern, während Markwart von Holderstein sich erhob und vor dem Kamin auf und ab zu schreiten begann.
«Es gibt zwei Möglichkeiten, dir eine langfristig sichere und standesgemäße Versorgung zu bieten. Die eine wäre ganz im Sinne deines Vaters: Du könntest den Sohn des Landschreibers Birkelnuss ehelichen. Die Höhe der Mitgift war ja bereits verhandelt worden. Mehr noch – die Heirat ist eigentlich vertraglich vereinbart.»
«Niemals!», entfuhr es Antonia. Auf dem Gesicht des Ritters erschien ein trauriges Lächeln.
«Das dachte ich mir fast. Die andere Möglichkeit: Du folgst deiner Schwester ins Kloster. Du weißt ja, dass die dortige Novizenmeisterin, Petronella von Landeck, eine Base deiner Mutter ist. Gewiss nicht die schlechteste Lösung. Auf die nötige Summe für den Klostereintritt würde ich meinerseits einen Rebberg als Schenkung drauflegen, für das Seelenheil meines guten Freundes Albrecht …», seine Stimme begann zu zittern, «und deines Bruders Bernward.»
Antonia erstarrte. Das war die Wahl zwischen Hölle und Fegefeuer!
«Warum kann ich nicht einfach hierbleiben?», stammelte sie.
Der Ritter wandte ihr den Rücken zu, seine Schultern bebten. Weinte er? Ohne sich umzuwenden, erwiderte er:
«Hier ist auf Dauer kein Ort für dich, Antonia. Das musst du einsehen.»
Sie verstand es ganz und gar nicht. Waren die Holdersteiner nicht auch so etwas wie ihre Familie? Was war nur in den Ritter gefahren?
«Wenn ich wenigstens …», begann sie zaghaft, aber da schob Wighart sie schon zur Tür hinaus.
Nachdem sie zwei Tage lang am Rande des Rheintals gen Mittag geritten waren, hatte sich heute, am dritten und letzten Tag ihrer Reise, die Landschaft gewandelt. Zwischen zwei Bergstöcken hindurch ging es nun nach Westen. Der zu ihrer Linken war kleiner und flacher, der zur Rechten höher und langgestreckt. Beide waren sie an ihren Abhängen mit Reben bestückt und von sauberen, mit Mauern oder Palisaden bewehrten Ortschaften gesäumt. Schäfer zogen mit ihren Herden über saftige Wiesengründe, am Wegesrand wurden ihnen frische Trauben, Baum- und Feldfrüchte angeboten.
In aller Frühe waren sie am Montag nach Michaelis aufgebrochen, mit der Abtei Marienau als fernem Ziel, als Antonias neuer Heimat – was immer darunter zu verstehen war. Markwart von Holderstein hatte es sich nicht nehmen lassen, sie als seinen Muntling höchst selbst nach Breisach zu bringen, mit zwei bewaffneten Reiterknechten an seiner Seite. «So wird uns nichts geschehen», hatte er sie beruhigt, wohl in der Annahme, sie hätte Angst vor der weiten Reise. Dabei hatte sie weitaus mehr Angst vor dem, was auf sie zukam, als vor Wegelagerern und Meuchelmördern. Vielleicht wäre es gar nicht das Schlechteste, wenn sie das gleiche Schicksal wie ihr Vater und ihr Bruder erlitt.
Mit zu Eis gefrorenem Herzen hatte Antonia Holderstein verlassen und nicht mehr zurückgeblickt, als sie das Durenbachtal hinabgeritten waren. Dabei hatte ihre bange Furcht vor dem Klosterleben nichts mit mangelnder Glaubensfestigkeit zu tun. Auch sie vermochte sich ins Gebet zu versenken, fand in schweren Stunden Trost bei Gott. Doch hing sie viel zu sehr am diesseitigen Leben, an den Schönheiten dieser Welt. Noch einmal hatte sie am Vorabend versucht, den Ritter von seinem Entschluss abzubringen, indessen ohne Erfolg. Da hatte sich Trotz in ihr geregt: Nein, sie wollte den Holdersteinern
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