Die Himmelsbraut
eine erste Mündigkeit erlangt, und so will ich dir nun jene Frage stellen, die ich dir morgen bei der Aufnahmezeremonie vor dem versammelten Konvent stellen werde.»
Bedächtig legte der Propst die Hände aneinander.
«Willst du, Antonia von Oberthann, in unseren Orden eintreten und bleiben, aus deinem eigenen und freien Willen heraus?»
Da war es wieder, dieses Zittern. Antonia schluckte. Was hatte sie denn für eine Wahl? Sich mit Reinbolt Birkelnuss verheiraten lassen? Oder noch einige Zeit auf der Burg geduldet werden, bevor man sie dann doch als Dienstmagd in eine fremde Familie schicken würde? Hier war sie wenigstens in der Nähe ihrer Schwester. Sie sah zu Markwart von Holderstein, der ihr aufmunternd zunickte.
«Ja, Hochwürden», stieß sie hervor und erschrak vor ihrer eigenen Stimme.
«Recht so, mein Kind. Deinen guten Willen mehre und vollende in dir der Herr Jesus Christus. – Hast du noch Fragen?», setzte er hinzu.
«Wann werde ich meine Schwester Magdalena – Maria Magdalena wiedersehen?»
«Ich denke doch morgen, bei der Zeremonie. Noch etwas?»
«Bin ich mit ihr zusammen untergebracht?»
Er lachte heiser. «Aber nein. Als Kandidatin wohnst du im Gebäudeteil bei den Laienschwestern und nicht bei den Novizen.»
«Und wie lange bleibe ich Kandidatin?»
«So lange, wie du selbst und auch wir es für richtig erachten.»
Er klatschte in die Hände, woraufhin eine ältere Frau in brauner Tracht erschien, offensichtlich eine der Laienschwestern.
«Nun denn, so wollen wir jetzt in der Güte des Herrn unsere kleine, bescheidene Abendmahlzeit genießen. Trag auf, Schwester Käthe. Den großen Festschmaus wird es dann morgen geben, nach der feierlichen Aufnahme. Ihr bleibt doch über Nacht bei uns, Hochwohlgeboren?», wandte er sich an den Ritter. «Wir haben ein ganz und gar kommodes Gästehaus in unserem Kloster, gleich bei der Pforte.»
«Das ist überaus freundlich, Hochwürden. Aber ich habe meinen Knecht bereits ins Gasthaus Zum Löwen geschickt, um uns dort einzuquartieren.»
«Ganz wie es Euch beliebt. Sobald morgen früh der Konvent der Aufnahme zugestimmt hat – eine reine Formsache im Übrigen –, wird man Euch holen kommen. Könntet Ihr Euch zur dritten Tagesstunde bereithalten?»
«Selbstredend. Schließlich möchte ich nicht verpassen, wie Antonia ihren neuen Lebensabschnitt beginnt.»
«Voluntatem tuam bonam augeat et perficiat in te dominus Iesus Christus!»
In feierlichem Latein hallten die Worte durch den riesigen Chorraum der Klosterkirche Unserer Lieben Frau zu Marienau, um wie schon am Abend zuvor Antonias Aufnahme ins Kloster der Cistercienserinnen zu bestätigen – für diesmal indessen vor versammeltem Konvent. Pater Ignatius, heute im Priesterornat mit blutroter Stola über den Schultern, legte ihr einen langen schwarzen Schleier übers Haar und befestigte darauf einen zwei Finger breiten weißen Stoffstreifen. Dasselbe tat er mit Vrena Mittag, dem Mädchen an Antonias Seite.
Mit den Worten «Ehrwürdige Herrin, hiermit übergebe ich Euch diese Jungfrauen – möget Ihr sie aufnehmen und zur Ehre Gottes erziehen» führte er die beiden zur Äbtissin, die sie mit einer wahrhaft herzlichen Umarmung empfing.
«Mit Freude heiße ich euch willkommen, Antonia und Vrena, auch im Namen unserer Mitschwestern», rief sie mit fröhlicher Stimme, nachdem sie sich von den Mädchen gelöst hatte. «Mögen euch die Nonnenkronen auf eurem Haupt als Zeichen der gottgeweihten Jungfrauen den Weg in ein geistliches Leben weisen.»
Sie winkte die Gäste heran, die die Zeremonie gerührt verfolgt hatten – Ritter Markwart von Holderstein und seine beiden Edelknechte ebenso wie Vrenas Eltern und Geschwister. Alle zusammen wurden sie vom Propst mit Weihwasser besprengt und gesegnet, traten vor den Altar, um dort das Vaterunser zu sprechen. Kaum war ihr Amen verklungen, erschallten über ihnen himmlische Gesänge.
Da erst wagte es Antonia, den Kopf zu heben. Irgendwo dort oben auf der Empore, die das Langhaus zur Hälfte überspannte, befand sich ihre Schwester, wie alle Nonnen abgeschirmt von den Blicken der Laien. Seit ihrer Ankunft gestern Abend waren sie sich kein einziges Mal begegnet. Ein Gefühl von Einsamkeit durchfuhr Antonia, als ihr bewusst wurde, dass sie keine Familie hatte, die mit ihr vor dem Altar stand.
Während die Messe mit Psalmengesängen und Evangelienlesung seinen Fortgang nahm, dachte Antonia an ihre Ankunft und ihre erste Nacht im Kloster
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