Die Himmelsbraut
schlanke Frau, deren Alter durch die Ordenstracht nicht so recht auszumachen war. Die hellen, flinken Augen wirkten jung, das spitze und energische Kinn mit den Fältchen um die Mundwinkel eher ältlich.
Die Tafel, um die sie saßen, war mit weißem Linnen bedeckt, durch ein großes Fenster fiel das Licht der Abendsonne auf einen kunstvoll gewebten Wandteppich, und auch sonst hatte die Stube der Äbtissin so gar nichts von einem Verlies. Wären da nicht die durchweg biblischen Motive der Bildnisse und Teppiche gewesen, hätte der Raum auch die Stube eines Kaufherrn sein können. Dennoch fühlte sich Antonia mehr als unbehaglich.
Die ehrwürdige Mutter thronte am Kopfende, ihr gegenüber der geistliche Vorsteher der Klosterfrauen, der ihnen als Propst Ignatius von Munterkingen vorgestellt worden war. Antonia hatte man den Platz neben zwei weiteren Ordensfrauen in weißem Gewand und schwarzem Schleier zugewiesen, die das hohe Amt der Priorin und das der Kellermeisterin innehatten. Neben dem Propst saß in dunkler Schaube und schwerer Silberkette vor der Brust ein zweiter Mann in der Runde, der Ratsherr und Klosterschaffner Jacob Kerenberg.
Trotz der Ungezwungenheit, die jetzt während des Umtrunks herrschte, hätte sich Antonia am liebsten unter dem Tisch verkrochen. Aber wenigstens hatte ihr Körper zu zittern aufgehört.
«Dreißig Gulden», fuhr Lucia Störkin fort, «sind uns aus dem Vermögen deines Vaters zugestellt, dazu die Jahrzeitstiftung seitens deines Muntherrn, Ritter Markwart von Holderstein, zum Seelenheil deines verstorbenen Vaters und deines Bruders.» Sie wandte sich nun an den Ritter zu ihrer Rechten. «Sollte Euer Mündel Marienau
vor
dem ewigen Gelübde verlassen, wovon ich nicht ausgehe, so sei das Geld zu Euren Händen wieder herauszugeben. – Aber dies alles haben wir ja bereits vertraglich festgelegt.»
«Ja, so sei es», erwiderte Markwart von Holderstein. «Was Antonia betrifft, so sehe ich sie bei Euch fürwahr in den besten Händen.»
Er hob den kostbaren Zinnbecher und trank der Äbtissin zu.
«Heißt das, ehrwürdigste Mutter», fragte Antonia mit belegter Stimme, «dass mein Eintritt ins Kloster noch gar nicht endgültig ist?»
Das Lächeln auf Lucia Störkins Gesicht verschwand. Statt ihrer antwortete ihre Stellvertreterin, eine kleine, rundliche Frau mit durchdringendem Blick. Sie erinnerte Antonia an eines dieser Püppchen mit Alabasterkopf, von denen Phillips kleine Schwester Almuth gleich ein halbes Dutzend besaß. Dieselben rosa Wangen im runden Gesicht, ein kleiner, voller Mund und eine kindlich stumpfe Nase darüber. Nur die Augen unter den zu feinen Strichen gezupften Brauen passten nicht dazu. Nicht puppenrund und tiefblau waren sie, sondern dunkel und schmal geschnitten.
«Gutes Kind», herrschte die Priorin Antonia an, «es steht dir nicht zu, ungefragt das Wort zu ergreifen. Mir scheint, du hast noch eine Menge zu lernen.»
Antonia spürte, wie eine brennende Röte ihre Wangen überzog.
«Ich bitte um Vergebung, hochwürdige Mutter Priorin», flüsterte sie.
Die Äbtissin hob beschwichtigend die Hand und lächelte wieder. «Es sei dir verziehen, Antonia. Schließlich bist du ja zum ersten Mal in einem Kloster. Da gilt es Regeln zu beachten, die nichts mit dem Leben auf einem Rittergut zu tun haben, wo es gewiss manchmal drunter und drüber zugeht.»
Die beiden Männer und Ritter Markwart lachten, was Antonia nur noch verlegener machte.
«Doch da du diese Angelegenheit nun schon einmal angesprochen hast: Die Zeiten, da Kinder durch das Gelübde der Eltern oder Vormünder an den geistlichen Stand gebunden werden, sind vorbei. In unserem Konvent legen wir großen Wert darauf, dass niemand zum geistlichen Leben gezwungen wird, sondern dass unser Nachwuchs aus freien Stücken das Gelübde leistet.»
Ihr Blick heftete sich auf Propst Ignatius von Munterkingen, der außer der Begrüßung noch kein einziges Wort an Antonia gerichtet hatte. Jetzt räusperte er sich, und Antonia starrte auf die Rotweinspuren rund um seine aufgeworfenen Lippen.
«Was die ehrwürdigste Mutter dir sagen will: Zunächst bist du als Gast bei uns aufgenommen und damit nur vorläufig an die Regeln unseres Ordens gebunden. Nutze die Zeit, um dich einzugewöhnen und dich zu prüfen, bevor du dich für den Schritt ins Noviziat entscheidest. Doch selbst für deine vorläufige Aufnahme ist es uns wichtig, dass du nicht gezwungen wurdest hierherzukommen. Mit deinen vierzehn Jahre hast du bereits
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