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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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einziges Mal war sie am Grab ihres Vaters, ihres Bruders gewesen, hatte stattdessen hier oben in der Burgkapelle die Gebete verrichtet und auch vom Kaplan die Kommunion entgegengenommen. Es drängte sie auf den Friedhof, und zugleich hatte sie Angst vor dem Moment, das Endgültige vor Augen zu haben.
    Ja, sie würde bald wieder ganz gesund sein, aber ihr Vater und ihr Bruder waren für immer fort. Wie sollte es nun weitergehen mit ihr? Hier oben auf der Burg schien ein jeder Anweisung erhalten zu haben, sie abzulenken und nicht über ihre Familie und die schreckliche Bluttat zu sprechen. So hatte man sie umsorgt und verwöhnt und anfangs keine Minute aus den Augen gelassen. Wahrscheinlich aus der Angst heraus, sie könne der Melancholie verfallen. Mal saß eine der Mägde bei ihr, mit ihrem Spinnrad oder einer Handarbeit im Schoß, mal kam Kilian sie besuchen und berichtete von den Pferden oder, wenn auch seltener, der alte Ritter selbst, der in diesen Wochen seine bärenhafte Gestalt mehr und mehr verloren hatte. Sogar die Burgherrin, Elvira von Holderstein, hatte sich einige Male zu ihr in die Kammer gesetzt. Sie war die Einzige, die sich nicht daran hielt, über den Tod von Antonias Vater und Bruder Stillschweigen zu bewahren.
    «Dein Vater war ein herzensguter Mann. Bete nur viel für ihn, dann wird er bald bei unserem Herrn angekommen sein. Und auch für dich wird der Herrgott sorgen, vertraue auf ihn.» So oder so ähnlich sprach sie mit ihr, um sich sodann in belanglosen Erzählungen aus ihrer Zeit als Kind und Jungfer am Fürstenbergischen Hof zu ergehen oder auch schweigsam Löcher in die Luft zu starren.
    Zweimal war Katharina mit ihrem Ehegatten aus Offenburg angereist. Aber da sie an Antonias Bett jedes Mal in verzweifelte Schreie ausgebrochen war, hatte man sie gebeten, die Kranke zu schonen und nicht mehr aufzusuchen.
    Nachdem Antonias Kopfschmerzen nachgelassen hatten, war zu ihrer Verwunderung immer häufiger Phillips kleine Schwester Almuth bei ihr aufgetaucht. Dem Mädchen schien langweilig zu sein, ohne gleichaltrige Kinder auf der Burg, und so hatte sie gleich beim ersten Mal Spielbrett und Würfel mitgebracht. «Spielst du mit mir?», hatte sie gefragt und, ohne eine Antwort abzuwarten, Brett und Spielsteine auf ihr Bett postiert. Antonia wurden das bald die liebsten Stunden, wenn sie mit dem blond bezopften, blitzgescheiten Mädchen Tricktrack oder Mühle spielte. Am Ende hatte sie Almuth richtiggehend ins Herz geschlossen.
    So hatten die Holdersteiner und das Gesinde wahrlich alles dafür getan, dass es ihr besserging. Vor ein paar Tagen, da sie es schließlich zum zweiten oder dritten Mal geschafft hatte, hinunter in den Saal zu gehen und dort den Nachmittag zu verbringen, hatte Markwart von Holderstein sogar einen dieser fahrenden Sänger und Geschichtenerzähler eingeladen, die von Burg zu Burg, von Dorf zu Dorf zogen. Nur zu fünft – Almuth, Kilian, das Ritterpaar und sie selbst – hatten sie den Worten und Liedern gelauscht, dabei Weißwein getrunken und Honigkuchen genascht und hin und wieder ein bisschen geweint.
    Ihr Herzenswunsch war indessen auch an diesem Tag nicht in Erfüllung gegangen: dass nämlich Phillip erneut auf Besuch käme. Seine Anwesenheit hätte ihr mehr Trost gespendet als alle Bemühungen der Holdersteiner zusammen. Sie würde nie vergessen, wie sie an seiner Seite endlich zu weinen vermocht hatte.
    «Ihr solltet nun wieder zurück in die Burg, Fräulein Antonia.» Vor ihr stand Meister Negelin und bot ihr seinen Arm. «Zu viel frische Luft ermattet den Organismus.»
    Antonia nickte.
    «Außerdem erwartet Euch Herr von Holderstein im Saal. Er möchte etwas mit Euch besprechen.»
    Zu Antonias Überraschung empfing der Ritter sie nicht allein. Wighart, sein ältester Sohn, hockte breitbeinig auf einem Schemel vor dem Kamin. Kaum war sie eingetreten, sprang er auf.
    «Antonia! Es tut mir so unendlich leid, was geschehen ist.»
    Unbeholfen nahm Wighart sie in den Arm. Sein Atem roch ein klein wenig nach Branntwein. Dann trat er einen Schritt zurück. Seine Augen füllten sich mit Tränen, während er sie musterte.
    «Du wirst doch wieder ganz gesund? Unser gelehrter Doctor meint, du würdest keinen bleibenden Schaden nehmen.»
    Sie mochte Wighart nicht besonders. Andererseits hatte er sich ihr gegenüber nie unfreundlich gezeigt.
    «Ja, es geht schon besser», murmelte sie.
    «Komm, setz dich zu uns.» Er zog einen bequemen Lehnstuhl vor den Kamin, in dem als Vorbote

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