Die Himmelsbraut
spießte sich ein neues Bratenstück auf, saftig und rosarot. «Also, ich finde, das Leben ist zum Genießen da. Schaff ich mein Baccalaureat heuer nicht, dann eben im nächsten Jahr. Was soll’s?»
«Hm», murmelte Phillip nur und kaute lustlos auf seinem Fleischstück herum. Manchmal fragte er sich wirklich, ob es gut war, dass er sich Egbert angeschlossen hatte, denn in den Monaten vor ihrer Bekanntschaft hatte er um einiges mehr für seine Studien gearbeitet. Und um einiges weniger getrunken.
«Jetzt sag bloß – hast keinen Hunger? Ich bezahl’s, ehrlich!»
Unwillig schüttelte Phillip den Kopf. «Lass nur. Ich glaub, ich geh besser nach Hause.»
«Verrat mir lieber, was los ist. Ich bin doch dein Freund. Die ganze Zeit schon redest nichts, willst nichts essen, sogar dein Weinkrug ist noch voll. Hast du Kummer? Geldsorgen? Oder etwa Liebesleid?»
Egbert lehnte sich zurück und sah ihn aus seinen hellblauen Augen prüfend an.
«Also Liebesleid. Dacht ich mir’s. Wie ein Häufchen Elend siehst aus. Hast dich wahrscheinlich in ein Weib verguckt, das nichts von dir wissen will.» Er schlug ihm gegen die Schulter. «Wie heißt sie denn?»
Anstatt zu antworten, nahm Phillip seinen Krug und trank ihn in einem Zug fast leer. Er spürte, wie der weiche, herbsüße Geschmack in der Kehle ihm guttat.
«Und du hast wirklich keinen Hunger?»
«Nein.»
«Dann packen wir das Fleisch für dich ein, für später oder für morgen. Und jetzt komm! Lass uns in den Salmen gehen, damit du auf andre Gedanken kommst.»
Fast widerwillig ließ Phillip sich mitführen. Das Wirtshaus Zum kleinen Salmen war eine Schenke beim Obertor, in der sich die Studenten trafen. Und zumeist fanden sich dort auch Musikanten und ein paar junge Frauen, die auf lose Bekanntschaften aus waren. Die dunkle, niedrige Schankstube war zum Bersten gefüllt, als sie eintraten und Egbert seine Kumpane begrüßte. Die beiden Freiherren von Rappoltstein, die wie Egbert im Haus Zum Wolfseck, der Privatburse des berühmten Professors Zasius, wohnten, winkten sie an ihren Tisch. Dort saßen bereits Eberhard vom Stein, genannt Bertschi, und Joachim Schiller von Herdern.
Phillip verzog das Gesicht. Da hockten ja die richtigen beisammen. Die Rappoltsteiner waren als rechte Streithähne verschrien, von Bertschi hieß es, er habe sich an Fastnacht im Vollrausch fast die Fingerkuppen abgebissen und saufe sich, wenn er so weitermache, demnächst um den Verstand. Und Joachim, der einzige Freiburger unter ihnen, war ein ausgemachter Prahlhans. Wie die meisten adligen Scholaren scherte er sich einen Dreck um die Kleiderordnung der Universität, die ein flaches Barett und ein langes, dunkles Gewand vorschrieb, Bart und umgeschnallten Degen hingegen verbot. Er schoss regelmäßig den Vogel ab, indem er die größten Hüte mit den buntesten Federn trug, den längsten Degen, die farbenprächtigsten Kleider aus glänzenden Stoffen. Gleich vor den Mauern der Stadt wohnte er, im Weiherhof zu Herdern, und es hieß, dort halte er sich zahme Wölfe und Füchse im Haus. Trotzdem war er nicht zu beneiden: Sein Vater war Bernhard Schiller von Herdern, ein bekannter Mann und einstmals Erster Professor der Medizin. Und, wie Phillip wusste, der einstige Förderer von Antonias Bruder Bernward. Doch vor einigen Jahren hatte sich der Geist des Professors zusehends verwirrt. Mal warf er beutelweise Silbermünzen unters Volk, mal kaufte er edle Reitpferde, um sie hinterher zu verschenken. Vor kurzem nun hatte die Stadt seine Einweisung in das Irrenhaus St. Anastasius zu Basel veranlasst, zur Behandlung beim dortigen Stadtarzt Paracelsus.
Fast sah es aus, als wolle Joachim in Sachen Verschwendungssucht in die Fußstapfen seines Vaters treten. War Egbert einfach nur sorglos im Umgang mit Geld, warf Joachim es regelrecht zum Fenster hinaus. Auch jetzt hatte er gerade mit gönnerhaftem Lächeln eine Runde für die gesamte Schankstube ausgegeben.
«Unsre Krüge sind da hoffentlich mit dabei?», fragte Egbert ihn.
«Für dich und deinen Ritterfreund hab ich gleich zwei doppelte bestellt! Ihr seht noch so erschreckend nüchtern aus.»
Herausfordernd reckte Phillip dem jungen Schiller das Kinn entgegen. «Ich kann meinen Wein selber bezahlen.»
«Oho, unser Junker Habenichts hat wohl eine Erbschaft gemacht? Werden wir also im Pfaffenchor künftig auf deinen Anblick verzichten müssen?»
Phillip hätte gute Lust gehabt, dem andern die Faust ins Gesicht zu schnellen. Aber er hatte sich
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