Die Himmelsbraut
so einen Vater hätt ich mir immer gewünscht.»
Phillip wusste, dass Egbert als Kind von seinem Vater mit der Reitpeitsche verprügelt worden war. Zugleich versetzte ihm diese Bemerkung einen Stich. Hätte sein eigener Vater damals zu ihm gestanden und ihm eine Verlobungserklärung für Marienau mitgegeben, wäre mit ihm und Antonia vielleicht alles anders gekommen. Oder auch nicht – verzeihen konnte er es dem Vater jedenfalls nicht.
«Was hat er gesagt über meinen Vater?»
Egbert biss sich auf die Lippen. «Das wirst du lieber nicht hören wollen.»
«Nun sag schon. Mein Bild von Wighart kann nicht schlechter werden, als es ohnehin schon ist.»
«Na ja, so Dinge wie dass dein Vater eine Jammergestalt von Ritter sei. Und dazu ein Hurenbock, der Schande über die Familie gebracht hätte.»
«Das hat er gesagt?»
«Ja. Und das ist noch milde ausgedrückt.»
Phillips immer noch schwelender Zorn auf den Vater verblasste angesichts dieser abgefeimten Unverfrorenheit. Wie konnte Wighart nur so über ihren Vater herziehen? Für eine solch ehrverletzende Lüge müsste man ihn vor den Richter bringen.
«Was ist?» Egbert stieß ihn in die Seite. «Sollen wir zuerst zu den Gauklern oder zur Tanzdiele?»
«Zu den Gauklern», erwiderte er zerstreut.
«Recht so. Vielleicht bringen die dich wieder zum Lachen. Wighart kann manchmal ein rechtes Arschloch sein, auf den solltest du keinen Gedanken verschwenden.»
Sie mussten hintereinandergehen, so schmal war das Gässchen, das sie auf den weitläufigen Platz rund um das Freiburger Münster führte. Dort drängten sich die Menschenmassen zwischen Karren und Planwagen, überdachten Buden und Schragentischen. Vor dem Stand eines Schmuckhändlers kamen sie zum Stehen.
«Tretet nur näher, Ihr edlen Herren», nötigte der Trödler sie. «Ein Geschenk für Eure Braut gefällig? Wie wär’s mit diesem Amulett, einem persischen Türkis? Schützt vor dem bösen Blick, bringt Reichtum und Glück. – Oder hier, das hübsche Korallenhörnchen, in echtes Gold gefasst. Das macht Eure Herzensdame sicher gegen jedweden Schadenszauber.»
Phillip schüttelte den Kopf. Er wollte Egbert schon weiterschieben, als sein Blick auf ein Kästchen mit silbernen Armreifen fiel.
«Ach so, Ihr sucht etwas für Euch selbst, junger Ritter? Da ist ein solcher Armreif genau das Richtige. Tragt ihn nur stets im Kampf und bei der Jagd – der eingefasste Blutstein stillt blutende Wunden, das Silber stärkt das Herz und den Mut. Oder besser noch: Nehmt diesen hier.» Er drückte ihm den Reif, der ihm ins Auge gefallen war, in die Hand. «Da ist noch ein Saphir mit drin. Der macht Euch unbesiegbar. Er ist allerdings auch teurer.»
Genau so einen Armreif hatte Antonias Bruder immer getragen, wenn er auf Reisen war. Und es hatte ihm an Ende doch nichts genutzt.
«Du glaubst doch nicht an diesen Hokuspokus?», stichelte Egbert. «Außerdem verwette ich meinen Degen, dass das Silber nicht echt ist.»
Der Trödler, ein schmächtiger, kleiner Mann, plusterte sich empört auf. «Wo denkt Ihr hin? Wollt Ihr mich einen Betrüger heißen? Hier!» Er schwenkte ein Blatt hin und her. «Diese markgräfliche Lizenz bestätigt die Echtheit all meiner Waren.»
Egbert lachte gutmütig.
«War nur ein Scherz, guter Mann.» Er wandte sich an Phillip. «Den selben Armreif hatte übrigens Wighart bei unserm letzten Wiedersehen getragen. Und ich wette, da war alles echt, das Silber wie die Edelsteine.»
«Wighart?»
Phillip starrte ihn an. Jetzt kam eins zum andren. Erst der Dolch mit ihrem Familienwappen, nun dieser Armreif. Der Verdacht, der in ihm aufstieg, war so ungeheuerlich, dass ihm fast die Luft wegblieb. Aber warum? Was hätte das alles für einen Sinn ergeben?
Plötzlich wusste er, was zu tun war. Im August, sobald er das Examen hinter sich hatte, würde er seinen Vater aufsuchen. Seit seinem Abschied von Neu-Eberstein hatte er ihn nicht mehr gesehen. Inzwischen war er ein alter Mann, immer wieder krank, und Phillip verlangte plötzlich danach, sich mit ihm auszusprechen. Und noch etwas wollte er tun: ihm ohne Umschweife von seiner Mutmaßung berichten.
28 Ankunft in Liebfrauenwalde, Frühjahr 1524
A m frühen Nachmittag des vierten Tages erreichten sie Liebfrauenwalde, allesamt müde und erschöpft. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen, es war windig und kühl. Einige Male hatten sie beschwerliche Umwege auf sich nehmen müssen, wenn umgestürzte Bäume den Weg versperrten oder Hochwasser eine
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