Die Himmelsbraut
Handwerkergesellen umstanden einen großen Kerl mit hellblonden Locken und überhäuften ihn mit wüsten Beleidigungen ob seiner schönen Kleider und seines langen Degens, bis sie ihn hin und her zu schubsen begannen. Es kam nicht selten vor, dass Freiburger Burschen sich mit adligen Scholaren in die Haare kriegten, doch vier gegen einen? Dazu war ganz offensichtlich, dass der Blondgelockte reichlich betrunken war, sonst hätte er längst den Degen gezogen. Phillip hatte bei Ritter Wendel lang genug die Kampfkunst erlernt, und so dauerte es kein Ave-Maria, bis er den jungen Fremden rausgehauen hatte. Bei der überschwänglichen Dankesumarmung stellte sich ihm sein neuer Freund dann als Egbert von Rainhausen vor, der aus der Nähe von Ingolstadt stamme, wo er auch sein erstes Studienjahr abgeleistet habe. Er wohnte in derselben Gasse wie Phillip, der «Vorderen Wolfshöhle», und wollte künftig die Vorlesungen zum Trivium im Hause Molitoris besuchen. Doch die größte Überraschung erfuhr er am nächsten Tag, als Egbert wieder nüchtern war: Anders als Phillip war Egbert an die Universität von seinem Vater gezwungen worden, nachdem er sich während seines Dienstes als Knappe einen äußerst üblen Ruf erworben hatte – an der Seite von keinem anderen als Phillips Bruder Wighart! Wie klein war doch die Welt.
Egbert schlang einen dicken Brocken Käse herunter.
«Und wennschon? Sollen die Wächter uns doch beim Rektor anzeigen. Was kann uns denn passieren? Die Albertina hat doch Schiss, ihre Studenten an andere Städte zu verlieren, erst recht die von Adel. Und diese Schild- und Spießbürger von Freiburg sollen bloß ihre Goschen halten. Schließlich bringen wir haufenweise Geld unter die Leute.»
«Du vergisst, dass du schon mal zwei Tage und zwei Nächte im Karzer verbracht hast.»
Egbert lachte. «War gar keine schlechte Zeit. Mit Würfelspiel und frischem Märzenbier ging’s rum wie nix.»
«Sag mal», setzte Egbert nach einer Pause an und zwinkerte Phillip verschwörerisch zu, «wann stellst du mir eigentlich mal dein Mädchen vor? Deine Antonia?»
«Was?»
«Jetzt hör – du hast gestern Abend von nichts andrem geredet. Das muss ja ein wahres Prachtweib sein, so wie du geschwärmt hast.»
Als Phillip schwieg, setzte er nach: «Oder ist sie etwa verheiratet?»
«Sie ist eine Nonne», erwiderte Phillip.
«Eine Nonne?» Egberts Augen leuchteten. «Ich fass es nicht! Das hätt ich dir gar nicht zugetraut, dass du heimlich mit einer Klosterfrau anbändelst.»
«Sie war nicht immer eine Nonne. Und jetzt lass mich in Ruh damit.»
Egbert hob beschwichtigend die Hände. «Ist ja gut. Lass uns austrinken und zum Jahrmarkt gehen.»
Auf dem kurzen Wegstück zum Münsterplatz versuchte Phillip, das Thema zu wechseln.
«Warst du eigentlich eng befreundet mit meinem Bruder?»
Egbert zuckte die Schultern.
«Um ehrlich zu sein, vermisse ich ihn nicht besonders. Wir waren zwar eine Zeitlang viel miteinander unterwegs, haben auch manchen Streich am Marktgrafenhof verzapft, aber seine aufbrausende Art ging mir irgendwann gehörig gegen den Strich. Wenn’s drauf ankam, war er zwar für mich da, aber ging’s mal nicht nach seinem Kopf, konnte er ziemlich gewalttätig werden.»
«Da sagst du mir nichts Neues.»
Egbert blieb stehen und schob den Ärmel seines Rocks hoch. «Siehst du die Narbe? Da ist er mal im Vollsuff mit dem Messer auf mich los. Danach war’s für mich erledigt mit der Freundschaft. Leider – eigentlich ist er kein schlechter Kerl.»
Er legte den Arm um Phillip und lachte. «Da mag ich dich um einiges lieber. Auch wenn du manchmal ein rechtes Weichei bist!»
«Worüber hattet ihr euch gestritten?»
«Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Wenn er betrunken war, hat er eigentlich mit jedem Streit angefangen. Jetzt muss es ja noch schlimmer um ihn stehen, seit er sich diesem Strauchritter von Raueneck angeschlossen hat.»
«Du weißt davon?»
«Ja. Ich bin ihm noch zwei-, dreimal begegnet. Ganz großspurig hat er getan. Hat sich Herr zu Holderstein genannt, grad so, als läge euer Vater schon unter der Erde.»
Das Menschengewühl wurde immer dichter, und sie hatten Mühe, sich nicht aus den Augen zu verlieren. Vom nahen Münsterplatz her drangen die Klänge von Trommeln und Fideln herüber, in der Luft hing der Geruch nach Bratwurst, Bierdunst und Schweiß.
«Weißt du, was mich auch gestört hat? Dass er immer so über euren Vater hergezogen ist. Dabei hab ich den mal kennengelernt –
Weitere Kostenlose Bücher