Die Himmelsbraut
geschworen, sich von diesem Maulhelden nicht mehr reizen zu lassen. Nicht seitdem sie einmal in blutige Raufhändel geraten waren. Das Ärgerliche an Joachim Schiller war, dass er nicht einfach ein verwöhnter, aufgeblasener Dummschwätzer war, sondern im Gegenteil blitzgescheit. Er war etwas jünger als Phillip, hatte sein Baccalaureat als einziger der hier Anwesenden schon in der Tasche und wollte nach dem Magister Artium die Medizin studieren.
«Jetzt hock dich schon auf deinen Arsch.» Egbert schob Phillip auf die Bank und quetschte sich dazu. «Siehst du die Kleine am Nebentisch? Die mit den roten Wangen und dem frechen Mund? Die wär doch was für dich.»
In diesem Augenblick krachte zu seiner Linken Bertschis Kopf auf die Tischplatte. Der alte Saufaus war doch tatsächlich eingeschlafen! Phillip zog ihm den Weinkrug aus der Hand und trank ihn leer. Nein, er wollte nicht länger über Antonia nachdenken. Er musste sie ein für alle Mal vergessen.
Binnen kurzem hatte er drei Krüglein reichlich sauren Rotweins in sich hineingeschüttet. Egbert legte ihm den Arm um die Schultern.
«Jetzt hast wenigstens wieder Farbe im Gesicht.»
«Antonia. Sie heißt Antonia.»
«Was? Wer?»
«Das Mädchen, das ich liebe.»
«Antonia – was für ein schöner Name. Trinken wir also auf deine Antonia! Hoch die Becher!»
«Auf – meine – schöne Antonia», stieß Phillip undeutlich hervor und trank. Plötzlich war er sich sicher, dass sie es war, die er am Fluss gesehen hatte. Er drückte Egbert einen Kuss auf die Stirn.
«Du bist mein Freund … Mein bester Freund …»
Die grinsenden Gesichter ringsum am Tisch begannen zu verschwimmen, und Phillip wurde plötzlich ganz leicht zumute. Er stieß einen wohligen Seufzer aus und lehnte sich an Egberts Schultern. Der zog ihm den Weinkrug aus der Hand.
«Jetzt aber langsam mit den jungen Pferden. Mir scheint, du verträgst heut nicht viel.»
Was danach folgte, blieb weitgehend im Nebel seiner Erinnerungen verborgen. Nur ein paar wenige Bilder waren noch geblieben: wie sie zu mehreren durch die nächtlichen Gassen gezogen waren, dabei zu einer Laute, die irgendwer angeschleppt hatte, lauthals Trinklieder gegrölt hatten, bis sie mit der herbeigestürmten Scharwache aneinandergeraten waren. Einer hatte sich dabei eine blutige Nase geholt – Bertschi? Joachim? –, er selbst hatte sich ans Geländer des Gerberbachs geklammert, um sich die Seele aus dem Leib zu kotzen, war dann irgendwann rücklings in einer Schubkarre gelegen, die über das holprige Pflaster geschoben wurde, bis es um ihn herum dunkle Nacht und still geworden war.
«Na, bist wieder unter den Lebenden?», rief ihn Egberts Stimme in die Gegenwart zurück.
Ohne anzuklopfen, war er ins Zimmer getreten, in den Händen wie versprochen einen Krug, dazu einen großen Kanten Käse.
«So halbwegs.»
Phillip streifte sich frische Kleidung über, da Wams und Beinkleider arg gelitten hatten. Sie stanken unverkennbar nach Kuhmist und Erbrochenem. Er holte zwei Becher, setzte sich neben Egbert auf das zerwühlte Bett und schenkte ihnen ein. Schon nach dem dritten Schluck ging es seinem Schädel wider Erwarten besser.
«Du bringst mich noch mal in Teufels Küche.» Er wischte sich über den Mund. «Was, wenn uns die Scharwächter von gestern Abend erkannt haben?»
Immer wieder nämlich schlugen Egbert und seine Saufkumpane über die Stränge. Dass nach der neunten Stunde nicht mehr grundlos durch die Straßen gezogen werden durfte, schon gar nicht mit Getöse und Katzenmusik, kümmerte sie wenig, unterstanden sie doch der laschen Gerichtsbarkeit der Universität. Indessen nahmen sich nicht nur die adligen Studenten ihre eigenen Rechte heraus – fast schlimmer noch trieben es die, die unter der strengen Hausordnung der städtischen Pfauen- und Adlerburse litten oder die Stipendiaten der klosterähnlichen Sapienz. Da wurde nackt in der Dreisam gebadet, gefischt und gejagt nach Herzenslust, man zog nächstens in die Weinberge, um Trauben zu klauen, oder vor die Klosterpforten, um zu randalieren. So sah sich die Stadt immer wieder genötigt, bei der Universitätsleitung ein schärferes Vorgehen gegen die Scholaren anzumahnen.
Trotzdem war Phillip überglücklich, dass er und Egbert sich begegnet waren. Zum Semesterbeginn im letzten Herbst war das gewesen, kurz vor dem Abendläuten auf der Salzgasse. Phillip war auf dem Heimweg gewesen, als er den Radau vor dem Roten Bären bemerkte. Vier junge
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