Die Himmelsbraut
Phillip, der sie so schändlich sitzengelassen hatte, noch immer nicht aus ihrem Herzen verschwunden war. Nie wieder wollte sie an ihn denken, das hatte sie sich doch felsenfest geschworen.
Da endlich sah sie Hubertus und Konrad mit der Priorin in ihrer Mitte zurückkehren. Selbst aus der Entfernung wurde deutlich, dass mit Camilla von Grüningen etwas nicht stimmte. Sie wankte leicht hin und her, bis Hubertus ihr den Arm reichte und sie stützte. Dann hörte man sie laut und vernehmlich kichern.
«Gütiger Herr im Himmel! Sie ist betrunken», stieß Ursel hervor. Auch das noch, dachte Antonia voller Widerwillen.
«Ich hoffe, ihr habt euch ausreichend gestärkt, meine lieben Mitschwestern. Jetzt geht’s nämlich gleich steil hinauf.» Die Worte kamen der Priorin schwer von der Zunge, doch ihr Gesicht strahlte wie das eines jungen Mädchens.
Pirmin hatte mit Hilfe der Kutscher rasch die Pferde angespannt, auch das der Priorin, und so machten sie sich zu Fuß auf den Weg, reihten sich ein in die Kolonne der Fuhrwerke, die alle noch vor der Dämmerung den oberen Schwarzwald erreichen wollten. Schon nach kurzer Zeit geriet Antonia ins Schnaufen. Die Fahrstraße führte stetig bergan, wechselte in spitzen Kehren die Richtung, die Zugtiere legten sich schnaubend in die Sielen. Hinter schlanken Tannen wurde immer wieder der Blick auf eine tiefe Schlucht frei und auf herabstürzende Wassermassen. Antonia mochte sich gar nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn die Fuhrwerke ins Rutschen gerieten. Immer wieder glitt eines ihrer Zugpferde auf dem Geröll aus oder knickte in der Hinterhand ein.
Sie und Magdalena marschierten hinter dem Wagen mit der Bücherkiste und hatten dabei Camilla von Grüningen vor Augen, die auf unsicheren Beinen vor sich her stapfte und mitunter bedrohlich dicht in die Nähe des Wagenrads geriet. Plötzlich kam sie ins Straucheln und prallte mit dem Kopf gegen einen Baumstamm, der sie davor bewahrte, die steile Böschung hinabzufallen. Antonia war sofort bei ihr und fing sie auf.
«Mutter Camilla! Was ist mit Euch?»
«Ach herrje – ach herrje …», stammelte die Priorin nur. Ihr Atem roch nach Gewürzwein, an Wange und Stirn hatte sie blutige Schrammen. Antonia musste gegen ein Gefühl des Ekels ankämpfen, wie da dieser Körper schwer und schlaff zugleich in ihren Armen hing. Die Frauen eilten ihr zu Hilfe, während Ursel mit ihrer kräftigen Stimme den Männern zubrüllte, die Wagen anzuhalten. Der gesamte Zug geriet ins Stocken, worüber die anderen Fuhrleute in wütendes Gezeter ausbrachen.
Endlich war Hubertus bei ihnen und nahm Antonia die vor sich hin brabbelnde Priorin aus den Armen. Die Männer verfrachteten sie auf ein freies Eckchen im vorderen Wagen, wo sie augenblicklich in Tiefschlaf fiel.
«Wir müssen ihre Wunde versorgen», protestierte Antonia, als Hubertus das Zeichen zur Weiterfahrt gab.
«Unsinn. Schlaf ist die beste Arznei.» Hubertus grinste frech. «Ich sag nur: Wehe, wenn Klosterweiber einmal losgelassen werden …»
Antonia wollte ihn schon zurechtweisen, doch dann zog sie es vor zu schweigen. Schließlich hatte der Mann ja recht. Nicht zum ersten Mal auf dieser Reise beschlich sie die dunkle Ahnung, dass sie in Liebfrauenwalde nicht nur Gutes erwarten würde.
27 Freiburg im Breisgau, Frühjahr 1524
A uf, auf, du alter Schlafbär! Die Sonne lacht am Himmel, es ist Sonntag, und der Jahrmarkt beginnt.»
Phillip hob den Kopf und blinzelte gegen das helle Licht. Sein Schädel schmerzte, als habe ihm jemand einen Knüppel dagegengehauen. Wie war er letzte Nacht überhaupt nach Hause gekommen? Über sich erkannte er ein rotwangiges, bärtiges Gesicht mit einzelnen hellblonden Locken in der Stirn.
«Egbert?»
Im nächsten Augenblick flog ihm ein Schwall eisigen Wassers entgegen.
«Du Hundsfott!»
Sein Studienfreund lachte. «Bist jetzt endlich wach? Du warst voll wie ein Bierkutscher gestern Abend.»
Phillip rieb sich die Augen. «Sag bloß – ist die Messe schon vorbei?»
«Die hast du ratzfatz verschlafen.»
«Vermaledeiter Mist!»
Mit einem Satz war er aus dem Bett. Schon zum zweiten Mal in diesem Monat hatte er eine heilige Messe versäumt und war damit um das Geld für den Chorgesang gekommen. Fast war es komisch zu nennen, dass er, der zwar eine kräftige Stimme hatte, dabei aber kaum einen richtigen Ton traf, gegen einen Obolus zum Hochamt im Kirchenchor mitsingen durfte. Den Münsterpfarrer schien das nicht zu stören. Das eigentlich
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