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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der steilen Stiege getreten war.
    Sie hielt inne. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, aber der Tag war trüb. Es gab keine Wolken, doch aus dem sonst so strahlenden Blau des Firmaments war ein verwaschenes Grau geworden, und obwohl es nicht wirklich kalt war, fröstelte Arri doch im allerersten Moment, denn der Anblick machte ihr endgültig und unwiderruflich klar, wie nahe der Winter bereits war. Sie wusste, dass es nicht sein konnte, aber sie glaubte bereits Schnee in der Luft zu riechen.
    »Worauf wartest du?«, drängte Lea hinter ihr. Arri setzte sich ohne zu zögern in Bewegung, blieb aber unmittelbar am Fuß der Stiege abermals stehen und sah sich schaudernd nach rechts und links um.
    Ohne dass sie sich der Bewegung auch nur selbst bewusst gewesen wäre, zog sie den Umhang enger um die Schultern zusammen. Es war beinahe Mittag, dem Stand der Sonne nach zu schließen, und die fast weiß brennende Sonnenscheibe am Himmel hatte trotz allem noch immer genug Kraft, um die Nachtkälte längst vertrieben zu haben. Aber es war auch nicht die äußere Kälte, die sie frösteln ließ, sondern etwas, das aus ihrem Inneren kam. Arri schob das Gefühl auf die überstandenen Strapazen und ihre Müdigkeit, die einfach nicht weichen wollte, obwohl sie wahrlich lange genug geschlafen hatte.
    »Worauf wartest du?«, fragte ihre Mutter noch einmal, nachdem sie die unterste Treppenstufe erreicht und eine Weile vergebens darauf gewartet hatte, dass Arri beiseite trat und ihr Platz machte. Diesmal antwortete sie. »Wohin gehen wir?«
    »Fort«, antwortete Lea.
    Arri war nur im allerersten Moment über diese Antwort verärgert; gerade so lange, wie sie brauchte, um zu begreifen, dass dies nicht einfach nur wieder die übliche, unwillige Art ihrer Mutter war, auf Fragen zu antworten, die sie für überflüssig hielt oder auf die sie einfach nicht antworten wollte. Diesmal war es die Wahrheit gewesen. Sie hatte es ihr gesagt, und dennoch erschreckte dieses eine Wort Arri nun so sehr, dass sie zwei Schritte vor ihrer Mutter zurückprallte und sie aus aufgerissenen Augen anstarrte. Ja, sie würden fortgehen, und das wortwörtlich und wahrscheinlich für immer.
    Unwillkürlich wollte sie sich in die Richtung wenden, in der das Dorf lag, doch ihre Mutter schüttelte den Kopf und deutete gleichzeitig in die andere Richtung, zum Wald hin.
    »Aber wir können doch nicht.«, begann Arri und brach wieder ab, ohne den Satz zu Ende gesprochen zu haben.
    »Was?«, fragte Lea.
    »Aber ich meine. Kron und Achk.«, stammelte Arri. »Sie warten doch darauf, dass.«
    ». wir was tun?«, unterbrach sie Lea. Eine schmale Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. »Ihnen helfen? Ihnen etwas bringen, was wir ihnen versprochen haben, was wir aber nicht besitzen? Sie vor etwas schützen, vor dem sie gar nicht beschützt werden wollen?«
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Glaub mir, mein Kind, auch mir macht der Gedanke zu schaffen, mein Wort zu brechen, aber wir haben keine Wahl. Du hast gehört, was Rahn gesagt hat.«
    »Aber warten wir denn nicht auf ihn?«
    »Das wäre dumm, meinst du nicht? Und ich habe eigentlich nie etwas Dummes getan, wenn ich es vermeiden konnte. Also komm jetzt mit. Wir haben einen weiten Weg vor uns.«
    Arri zögerte noch immer, aber sie hütete sich, ihre Mutter unnötig zu reizen, indem sie sich ihr zum dritten Mal hintereinander widersetzte; obwohl sie das unbestimmte Gefühl hatte, trotz allem eine sonderbare Art von Sanftmut an Lea zu spüren. Gehorsam - wenn auch alles andere als schnell - wandte sie sich zum Waldrand und setzte sich in Bewegung. Kurz bevor sie in das Unterholz eindrangen, blieb sie jedoch noch einmal stehen und sah zurück. Eben noch, vom Fuße der Stiege aus, war das Dorf nicht sichtbar gewesen, von hier aus jedoch konnte sie nicht nur den Weg zum Dorf hinauf einsehen, sondern auch die Stelle, an der Achks Schmiede gestanden hatte. Selbst über die große Entfernung hinweg erkannte sie die schwarze Narbe, die das Feuer in den Wald geschlagen hatte, und für einen winzigen Moment meinte sie sogar eine Bewegung unmittelbar am Waldrand wahrzunehmen; vielleicht eine Gestalt, die aus dem Wald hinausgetreten war und in ihre Richtung sah. Achk, der dort unten stand und ihrer feigen Flucht aus seinen erloschenen Augen nachsah?
    Aber das war unmöglich. Achk war blind, und selbst wenn er es nicht gewesen wäre - Arri hatte selbst oft genug da gestanden und genau in diese Richtung geblickt, um zu wissen, dass

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