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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anderen Überlebenden unseres Volkes gemacht. Doch ich habe keine gefunden, weil es keine gab.«
    »Und warum sind wir dann hier geblieben?«, wollte Arri wissen. »Wenn dieser Ort so schlimm ist und Nor und Sarn und all die anderen auch, warum bist du dann nicht weiter gezogen?«
    »Weiter?«, wiederholte ihre Mutter. Sie nahm den Arm von Arris Schulter und straffte sich, bevor sie den Kopf schüttelte.
    »Wohin? Hier ist es so gut oder so schlecht wie überall. Es ist nicht die Schuld dieser Menschen. Sie sind nun einmal, wie sie sind. Die Menschen fürchten das, was sie nicht kennen, und je einfacher sie sind, desto größer ist ihre Angst vor dem Unbekannten. Ich wusste stets, dass wir nicht für immer hier bleiben können, aber für eine Weile war es nicht der schlechteste Ort, trotz Nor und aller anderen. Ich fürchte nur, dass diese Zeit jetzt zu Ende geht.«
    Sie erhob sich und sah mit einem aufmunternden Lächeln auf Arri herab. »Keine Sorge«, sagte sie, »noch nicht heute und auch nicht morgen. Vielleicht tatsächlich, kurz bevor der erste Schnee fällt, aber wenn wir Glück haben, noch nicht einmal dann. Ich glaube, der Winter wird hart, und wenn er gleich mit voller Kraft einsetzt, wird sich für uns vielleicht alles noch einmal zum Guten wenden.«
    »Ein harter Winter soll gut für uns sein?«, fragte Arri fassungslos. »Aber dann ist doch die Gefahr umso größer, dass wir verhungern, oder sogar erfrieren, wenn wir das Dorf verlassen müssen!«
    »Das ist das Druckmittel, das Nor in der Hand zu haben glaubt«, sagte ihre Mutter ungerührt. »Aber es wäre nicht das erste Mal, dass er sich in solch einem Punkt täuscht. Gosegs Einfluss sinkt im Winter mit jeder Handbreit Schnee, der auf das Land fällt. Wenn die Wege erst einmal unpassierbar sind, entscheidet nur noch Sarn über unser Schicksal. Auch wenn er uns aus tiefstem Herzen hasst, wird er sich doch hüten, uns unter Druck zu setzen. Je länger die dunkle Jahreszeit dauert, desto dringender wird das Dorf das brauchen, was ich ihm zu bieten habe, und die Menschen hier wissen das. Wir müssen nur irgendwie die Zeit des ersten Schnees überstehen.« Sie schnitt Arris nächste Frage, die ihr unwillkürlich über die Lippen kommen wollte, mit einer Geste ab, mit der sie sie zugleich auch aufforderte, ebenfalls aufzustehen. »Ich werde die Zeit bis dahin nutzen, um dir alles beizubringen, was ich weiß, aber für heute ist es genug. Lass uns ins Dorf zurückgehen und.«
    Die Trommeln verstummten, und auch Lea brach erschrocken mitten im Wort ab und wandte mit einem Ruck den Kopf in die Richtung, aus der der Wind plötzlich nur noch Schweigen zu ihnen trug. Noch vor einem Atemzug hatte sich Arri nichts mehr gewünscht, als dass dieser quälende, unheimliche Trommelrhythmus endlich aufhörte. Aber die Stille, die sie nun umgab, war schlimmer. »Was mag passiert sein?«, fragte sie.
    »Ich weiß es nicht.« Auch ihre Mutter klang besorgt, fast alarmiert. »Vielleicht ist Kron gestorben. Wir müssen zurück. Schnell.«
    Obwohl sie sich beeilten und es bis Sonnenaufgang noch eine Weile hin sein musste, als sie das Dorf erreichten, kamen sie dennoch zu spät. Über dem kleinen, auf fast mannshohen Pfählen stehenden Haus, das Arri und ihre Mutter bewohnten, lastete noch immer die Dunkelheit der nahezu mondlosen Nacht, und über dem Fluss zeigte sich noch nicht einmal die Ahnung des ersten grauen Schimmers, der die Dämmerung ankündigen würde. Es war so still, als wären ihrer beider Atemzüge und die Geräusche, die Arris Schritte im Gegensatz zu den lautlosen Bewegungen ihrer Mutter auf dem Boden verursachten, die einzigen Laute auf der ganzen Welt, und dennoch schien ihre Mutter irgendetwas gehört zu haben, denn sie waren kaum aus dem Wald herausgetreten, da blieb sie stehen und hob erschrocken die Hand, sodass auch Arri mitten im Schritt verharrte.
    Dann sah sie ihre Mutter an, aber sie war auch geistesgegenwärtig genug, nichts zu sagen und keine Frage zu stellen, und sie bemühte sich darüber hinaus sogar, möglichst flach zu atmen. Für einen winzigen Moment war es ihr, als hätte das Schlagen der Trommeln wieder eingesetzt, aber es war nur das Hämmern ihres eigenen Herzens, das sie hörte. So schwer es ihr auch fiel, gelang es ihr dennoch, sich zu gedulden, bis sie den Blick ihrer Mutter einfing, und ihre Augen stellten eine lautlose Frage, die Lea auf die gleiche Weise beantwortete. Sie hatte etwas gehört, auch wenn die Stille für Arris Ohren

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