Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe
»Was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht?«, fragte sie in vorwurfsvollem Ton. »Ich habe ihm genau das ausgerichtet, was ich sollte.«
»Ich hatte dir aufgetragen, ihn um etwas zu bitten«, sagte ihre Mutter betont, »nicht, ihm etwas zu befehlen.«
Als ob es jemals irgendeinen Sinn gehabt hätte, Rahn um etwas zu bitten!, dachte Arri trotzig. Sie hütete sich aber, das auszusprechen. Ihre Mutter war in gereizter Stimmung, was seit einer Weile nun wirklich nichts Besonderes mehr war, und es war sicher besser, wenn sie schwieg. So schnell sie es gerade noch konnten, ohne dass es tatsächlich wie eine Flucht aussah, überquerten sie den Dorfplatz und nahmen den kürzeren Weg aus dem Dorf hinaus, den nach Süden in Richtung Schmiede - und des Steinkreises, wie sich Arri mit einem unangenehmen Frösteln bewusst wurde.
Schweigend passierten sie die Hütte des Blinden und bogen nach rechts ab, ohne dem uralten Kreis stummer, steinerner Wächter auch nur auf Sichtweite nahe zu kommen. Arri atmete erleichtert auf. Die Begegnung mit dem Schamanen kam ihr immer mehr wie ein ferner Traum vor, und hätte ihr jemand gesagt, dass ihr dort nicht Sarn aufgelauert hatte, sondern ein von ihm geschicktes Trugbild, sie hätte es wahrscheinlich geglaubt.
Sie verscheuchte den hässlichen Gedanken, erinnerte sich dafür aber plötzlich an etwas anderes, das sie auf ganz andere, aber nicht minder intensive Weise beunruhigte: an das goldfarbene Funkeln, das sie in der Hand ihrer Mutter gesehen hatte. Was konnte es nur gewesen sein? Ihre Mutter besaß kein Gold, und selbst wenn es sich anders verhielte - warum sollte sie es ausgerechnet Rahn zeigen? Das Einzige, was sie damit erreichen würde, wäre, dass er anfinge zu überlegen, wie er es ihr am besten stehlen könnte.
Sie machten sich an den kurzen Abstieg zurück zu ihrer Hütte, als es in den Büschen neben ihnen raschelte. Arri fuhr erschrocken zusammen, ihre Mutter jedoch blieb mit einer Bewegung stehen, die nicht die mindeste Überraschung verriet und noch weniger Furcht, und machte eine rasche, beruhigende Geste in ihre Richtung. Dann aber riss Arri überrascht die Augen auf, als ein Schatten aus dem Gebüsch neben ihnen trat und nach einem weiteren Schritt zu einem grimmig blickenden Rahn wurde.
»Das ging schneller, als ich dachte«, sagte ihre Mutter. »Wir gehen besser hinein.«
Rahn wandte sich nicht nur gehorsam um und ging, sondern eilte sogar voraus. Arri konnte ihre Neugier nun nicht mehr bezähmen. Während sie dem Fischer an der Seite ihrer Mutter folgte, fragte sie: »Was bedeutet das? Was hast du ihm gesagt?«
»Etwas, das eigentlich deine Aufgabe gewesen wäre«, erwiderte ihre Mutter, noch immer in demselben scharfen und für Arri nach wie vor unverständlichen Ton wie bisher. Als sie etwas erwidern wollte, fuhr Lea fort: »Still jetzt. Am Ende hört uns noch jemand. Wie ich diesen Dummkopf kenne, ist er auf direktem Weg hierher gekommen.«
Arri sah zwar nicht ein, was daran so schlimm sein sollte, beschleunigte ihre Schritte aber trotzdem, als auch ihre Mutter schneller ging. Sie holten Rahn ein, als er die Stiege erreicht hatte und sich zu ihnen herumdrehte. Er wollte etwas sagen, doch Lea gebot ihm mit einer herrischen Geste gleichzeitig zu schweigen und nach oben in die Hütte zu gehen, und der Fischer gehorchte. Er blieb aber so dicht hinter dem schmalen Eingang stehen, dass es Arri und ihrer Mutter unmöglich wurde, die Hütte zu betreten. Obwohl es drinnen so dunkel war, dass sie Rahn nicht einmal mehr als Schatten ausmachen konnte, geschweige denn sein Gesicht erkennen, glaubte sie doch die Verwirrung zu spüren, die von ihm ausging, zugleich aber auch ein mindestens ebenso großes Misstrauen und eine nunmehr mühsam unterdrückte Wut. Mit einem Mal bekam sie Angst. Vielleicht war es ein Fehler von ihrer Mutter gewesen, den Fischer hierher zu bestellen.
»Also, was willst du von mir?«, begann er, und das in einem Ton, der Arris Befürchtungen nicht nur neue Nahrung gab, sondern sie fast zur Gewissheit machte. »Sarn wird wütend auf mich sein, wenn er hört, dass ich hier gewesen bin.«
»Dann würde ich es ihm an deiner Stelle auch nicht verraten«, antwortete Lea gelassen. Sie wartete vergebens darauf, dass Rahn den Weg freigab, dann seufzte sie leise, ging weiter und schob ihn dabei einfach zur Seite; ruhig, aber doch so kräftig, dass er hastig einen Schritt zurückstolperte und mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht nicht zu
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