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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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um die Gefahr einer schrecklichen Krankheit zu bannen?
    »Frag deine Mutter, Kind«, hatte Nor gesagt. »Vertrau dich ihrem Rat an. Sie wird dich leiten!«
    Sie spürte ja, dass er damit recht gehabt hatte. Sie versuchte sich auf die Stimme ihrer Mutter zu konzentrieren, irgendwie einen Zugang zu ihr zu finden. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen.
    Die einzige Abwechslung waren die Schritte vor der Hütte, das Gemurmel, mitunter auch ein ferner Ruf. Aber inzwischen wurden die Geräusche eines lebendigen Treibens vor der Hütte durch das leise, erst zögerliche, und dann doch immer heftigere Prasseln des Regens abgelöst, der sich schon seit Längerem angekündigt hatte. Jetzt würden die Menschen ihre Sachen zusammenraffen und Schutz in ihren Behausungen suchen. Und sie war wieder allein und auf sich gestellt. Fürchterlich. Wenn sie sich wenigstens frei in der Hütte hätte bewegen können!
    Aber das war nicht möglich. Überall auf dem Boden hatten sich bereits nach dem letzten Regen grünlich schimmernde Pfützen gebildet, und an den wenigen Stellen, an denen das Wasser bereits versickert war, roch es modrig. Auf den Eckpfosten, die die Männer hier vor zwei Sommern in den feuchten Untergrund getrieben hatten, hatte sich Schimmel gebildet, und durch die vielen kleineren und größeren Schadstellen im Schilfdach tropfte es unentwegt: ein beständiger Sprühregen, dem zu entgehen unmöglich war.
    Nicht, dass Arri darauf Wert gelegt hätte. So gut wie es mit den nun schon seit Tagen gefesselten Händen nur ging, zog sie die Knie an den Körper und umschlang sie mit den Armen. Und jetzt endlich fühlte sie sich ihrer Mutter ganz nah.
    Als Kind hatte sie unzählige Male so in der Hütte ihrer Mutter gehockt und – wie jetzt auch – die Knie mit den Armen umschlungen. Manchmal hatte ihr Lea dann aus einer fernen, vergangenen Welt erzählt: von dem Reichtum und dem Prunk der Stadt, in der sie geboren worden war, von den geheimnisvollen Schmieden im Tempelbezirk, in denen ein Material verwendet wurde, das viel härter als Bronze war, von dem Handel, den man mit unvorstellbar weit entfernten Ländern getrieben hatte, in denen es keinen Winter gab, dafür aber blühende Gärten und Felder, so weit das Auge reichte. Danach hatte sie ihr dann meist etwas zu essen bereitet, Fisch, Fladenbrot, Pilze oder an guten Tagen sogar ein Wildragout. Und sie hatten zusammen gegessen, bis sie müde geworden war und sich auf ihrer Strohmatte zusammengerollt hatte, während Lea die notwendigen Verrichtungen getätigt hatte, um ihre Hütte und die Kochstelle wieder in Ordnung zu bringen.
    Die Ahnen. Es gab nichts Wichtigeres, das hatte ihre Mutter ihr immer wieder klarzumachen versucht. Arri hatte das selbstverständlich auch geglaubt, und tief in ihrem Herzen war sie noch immer überzeugt, dass es nicht Wichtigeres gab als ihre Vorfahren – allen voran natürlich ihre Mutter …
    Aber sie vermisste das Leben in dem reichen Land, von dem Lea andauernd gesprochen hatte, gar nicht, sie hatte keine Sehnsucht nach Steinhäusern und einem sagenhaften Reichtum, der durch den Handel mit weit entfernten Kulturen zustande kam. Sie vermisste einfach nur ihr altes Leben unter den Fischern, Bauern und Jägern am Fluss, den gleichförmigen Ablauf der Tage, die kleinen und größeren Herausforderungen, denen sie sich stellen musste – und sogar die alltäglichen Verrichtungen, für die sie seit Kindesbeinen zuständig gewesen war.
    Wenn sie doch nur wieder dahin zurück könnte! Sie hatte gar nicht gewusst, wie glücklich sie damals gewesen waren, sie alle zusammen. Mochte ihre Mutter auch noch so oft geklagt haben, weil ihre eigene Heimat untergegangen war, so hatten sie doch ein geradezu unverschämtes Glück gehabt, was Arri aber erst jetzt ganz begriff. Als Heilerin war ihre Mutter von den Flussleuten mit offenen Armen aufgenommen worden, und schnell hatte sie eine bevorzugte Stellung in ihrer Mitte eingenommen. Es hatte ihnen an nichts gefehlt, sogar im Winter hatten sie meistens genug zu essen gehabt, und außer den gelegentlichen Streitigkeiten der Männer untereinander oder einem Jagdunfall war wenig geschehen, was die abgeschiedene Ruhe am Fluss gestört hatte.
    Doch all dies war nun Vergangenheit, ausgelöscht durch den schrecklichen Streit mit dem Schamanen ihres Heimatdorfes, der letztlich sogar den Tod ihrer Mutter verschuldet hatte – und auch daran Schuld trug, dass sie hier gelandet war. Wie oft sie diesen alten Mann schon

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