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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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überlebenden Jungen in ihrer Mitte, der klein genug war, um so leicht wie eine Feder auszuschreiten. Und es konnte auch nur einen Grund geben, warum er den Weg vom Lager zu ihm nach oben auf sich genommen hatte.
    Wie zur Antwort auf diesen Gedanken knurrte Zakaans Magen, und er tat das auf eine ganz eigene Weise. Es klang wie ein fernes Donnergrollen, das näher kam, um dann plötzlich zu verstummen. Das Knurren der Ahnen nannten es die Schamanen, wenn sie mit Hilfe getrockneter Rauschpilze fasteten und ihr Magen daraufhin absonderliche Laute von sich gab.
    Der blasse Junge mit den strubbligen Haaren, der ihm im Auftrag der Frauen frisches Wasser bringen sollte, hatte offensichtlich noch nie etwas vom Knurren der Ahnen gehört. Er blieb am Rand des mit Reisig sorgfältig frei geharkten Bereichs stehen und sah sich unsicher um. Vor Zakaan stand der Behälter mit dem Fleisch der Göttin, wie man die geheime Pilzmischung nannte, mit deren Hilfe Schamanen schon seit jeher die Fesseln ihres Geistes hinter sich lassen konnten, wann immer das nötig war. Der Junge schien sie für die Quelle der Geräusche zu halten. Doch dann blieb sein Blick am größten der gedrungenen Steine hängen, die der Schamane mit seinen Helfern in aller Eile zu einem bislang unvollständigen Kreis angeordnet hatte. Und er zuckte merklich zurück.
    Zakaan lächelte sanft. »Keine Sorge. Dahinter kann sich kein wildes Tier verbergen, dazu ist der Stein viel zu klein. Das Knurren, das war ich, Bakan.«
    Der Junge blinzelte und blickte dann wieder mit der Mischung aus Neugier und Scheu zu ihm herüber, wie sie bei Fünfjährigen ganz üblich ist. Zakaan wäre froh gewesen, hätte er noch andere Kinder in seinem Alter mit zu sich nach oben nehmen können, ganz so wie es in den alten Zeiten gang und gäbe gewesen war. Aber das war leider nicht möglich. Die wenigen kleinen Jungen und Mädchen, die zu Beginn der Dürre das Licht der Welt erblickt hatten, hatten die Strapazen der großen Wanderung nicht überlebt – und wenn sie hier nicht endlich einmal zur Ruhe kamen, würde auch Bakan ihnen spätestens im nächsten Winter ins dunkle Reich des Vergessens folgen.
    Aber nicht, wenn ich es irgendwie verhindern kann, dachte Zakaan. Und nicht, nachdem wir jetzt trotz aller Widrigkeiten so weit gekommen sind. Das Sterben muss ein Ende haben!
    »Du hast geknurrt?« Der Junge umklammerte den mit Wasser gefüllten Tonkrug so fest, als fürchte er, der Schamane könnte ihn ihm entreißen. »Aber …«
    Zakaan brauchte eine Weile, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Dann strich er sich mit beiden Händen über den eingefallenen Bauch. »Dort unten haben wir Menschen eine zweite Stimme«, sagte er bedächtig. »Sie spricht zu uns, wenn wir Hunger haben. Das kennst du doch gewiss?«
    Bakan beeilte sich zu nicken. Natürlich wusste er nur allzu gut, was der Hunger mit ihnen anstellen konnte. Das wusste jeder von ihnen. »Ja. Aber bei mir und den anderen klingt es …«, er legte den Kopf schief und dachte angestrengt nach, »anders.«
    »Ja«, Zakaan nickte ernsthaft, »es klingt darum anders, weil sie eine andere Stimme haben. Meine Stimme nennt man das Knurren der Ahnen.«
    Bakan zuckte ein bisschen zusammen. Er stellte den Tonkrug am Boden ab und trat einen Schritt zurück. Seine Augenlider flackerten jetzt regelrecht. Zakaan rief sich in Gedanken zur Ordnung. Er erinnerte sich daran, wie vor einer Ewigkeit Lexz – und viele, viele Sommer zuvor auch Dragosz – inmitten einer Kindergruppe in den Steinkreis getreten war, um ihm und seinem Bruder Wasser zu bringen. Das immer gleiche Ritual des Wasserbringens, das sich so lange wiederholt hatte, wie es Wasser im Dorf gegeben hatte. Und natürlich hatte er damals auch nicht in einem so armseligen und unvollständigen Steinkreis mit ein paar hastig zusammengesuchten Steinen gesessen, von denen der größte nicht einmal die Schulterhöhe des Jungen erreichte. Er hatte sich vielmehr in einem uralten, besonders beeindruckenden Ort der Begegnung zwischen Schamanen und Ahnen aufgehalten: Das Ritual hatte inmitten mannshoher, verwitterter Steine stattgefunden, die seit Ewigkeiten unverrückbar an der gleichen Stelle standen und dort auch noch in Jahrtausenden so stehen würden, wenn es den Göttern gefiel.
    Lexz hatte seinerzeit geradezu vor Angst gezittert, und Dragosz hatte viele Sommer zuvor vor lauter Aufgeregtheit kaum ein Wort hervorgebracht. Obwohl sie doch beide als Abkömmlinge der Herrscherfamilie eine

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