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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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besondere Stellung unter den Gleichaltrigen eingenommen hatten, hatten auch sie die Schamanen bis dahin nur bei den großen Zeremonien zu Gesicht bekommen, und wie alle Raker hatten sie großen Respekt vor ihnen. Aber Kinder empfanden mehr als nur Respekt vor den weisen Männern, von deren Entscheidungen oft Wohl und Wehe der ganzen Gemeinschaft abhing: Es war schon fast so etwas wie Ehrfurcht. Und diese Ehrfurcht war so kostbar, dass man sie auf keinen Fall durch eine unbedachte Handlung oder ein vorschnelles Wort zerstören durfte.
    »Komm her.« Zakaan machte eine einladende Handbewegung zu dem Jungen hin, dem Letzten seiner Generation, der noch die alten Traditionen würde weitergeben können. »Dann erzähle ich dir ein bisschen von dem, was es mit den Ahnen auf sich hat. Und warum es so wichtig ist, darauf zu hören, wenn sie mit uns sprechen.«
    Der Junge trat wieder einen Schritt vor, aber dann zögerte er: »Die Ahnen sprechen«, er strich sich über seinen eigenen mageren Bauch, der von seinem zerschlissenen Gewand nur unvollständig verdeckt wurde, »darüber?«
    Zakaan lachte, gleichzeitig aber erschrak er über den Klang seiner eigenen Stimme. Er hatte sein eigenes Lachen schon viel zu lange nicht mehr gehört, es klang in seinen Ohren fremd und rau.
    Doch dann begriff er auch schon, dass er sich getäuscht hatte. Es war nicht allein sein Lachen, das er hörte: es war auch ein Krächzen, und als er den Kopf erschrocken nach oben riss, sah er einen Schwarm Krähen, der über den Baumwipfeln auftauchte. Zakaan hätte bei diesem Anblick gar nicht verwirrter sein können. Es gab doch keinerlei Grund, warum er Krähen fürchten sollte, außerdem gab es erst recht keinen Grund, sie hier nicht zu vermuten, wo Wälder und Wiesen auch für sie voller Nahrung waren.
    Und doch: Irgendetwas schien ihm hier … falsch zu sein. Sein Blick blieb wie gebannt an dem Schwarm hängen, wie der eines Jägers, der den geeigneten Augenblick abwartet, um seinen Pfeil abzuschießen. Das hatte er natürlich nicht vor, und er hätte es auch gar nicht gekonnt. Bis auf den von seinen Ahnen vermachten Faustkeil aus wertvollem Jaspachat trug er nämlich keine Waffe bei sich – und auch die hatte lediglich eine zeremonielle Bedeutung.
    Es waren weit mehr als zehn Tiere, die sich mit kräftigen Flügelschlägen in Richtung Norden entfernten. Es dauerte eine Weile, bis Zakaan begriff, was ihn an diesem Anblick störte. Tief im Land der aufgehenden Sonne, wo sie ihre Wanderung begonnen hatten, hatte es Nebelkrähen gegeben, grauschwarze Tiere, die mit ihren hellen Bäuchen und der grauen Zeichnung auf dem Rücken wie Krieger aussahen, die sich die Felle verschiedenfarbiger Schafe übergeworfen hatten. Hier dagegen, im Land der untergehenden Sonne, in der uralten Heimat seines Volkes, waren die Krähen für gewöhnlich vollkommen schwarz, weswegen die meisten Völker sie auch Rabenkrähen nannten.
    Der Schwarm, der jetzt gerade abdrehte und in einem langgestreckten Bogen auf das Lager unter ihnen zuzuhalten schien, bestand sowohl aus Nebel- als auch aus Rabenkrähen.
    »Ein Zeichen der Götter«, murmelte Zakaan ergriffen. »Alles wird sich wieder vereinen, was zusammengehört.«
    Er stand so schnell von seinem Fuchsfell auf, wie es ihm seine vom langen Sitzen schmerzenden Knochen gestatteten, und stand dann etwas unsicher und schwankend in seinen zerschlissenen Fellschuhen da, ein alter Mann, der so dürr war, dass sich seine Rippen unter dem schlichten, an mehreren Stellen eingerissenen Gewand abzeichneten. Auch seine Finger waren kaum dicker als die dürren Zweige von Haselbüschen. Vor seinen Augen tanzten helle Punkte, und die Welt verschwamm erst in diffuser Dunkelheit; das war eine Folge des Pilzgenusses, wie ihm durchaus klar war, verstärkt durch die Schwäche, die auch die ziemlich regelmäßigen Mahlzeiten der letzten Zeit nicht hatten ausgleichen können. Irgendwann würde er sich dagegen nicht mehr wehren können, dann mochte er ganz einfach in sich zusammensacken und nie wieder aufstehen. Aber noch war seine Zeit nicht gekommen. Seine Umgebung kehrte nicht vollständig zurück, sondern zerrissen und zerfasert; rechts wesentlich heller als links, und oben merkwürdig verzerrt, dafür unten von einer fast brutalen Deutlichkeit.
    In diesen unteren Bereich tauchte gerade der Krähenschwarm ein, als er am Hügel entlang der abfallenden Baumkronen vorbeistrich.
    »Soll ich dir helfen«, hörte er die dünne, unsichere Stimme des

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