Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Das war kein Traumpaar, das war viel eher eine Verbindung wie Feuer und Eis. Arri hatte nicht die geringste Ahnung, warum die beiden hier gemeinsam unterwegs waren. Aber sie fürchtete das Schlimmste: Isana hatte Taru schon immer mit bösen Bemerkungen geärgert, und Taru hatte ihr das nicht nur genauso zurückgezahlt, sondern wäre ihr schon des Öfteren am liebsten an die Gurgel gegangen. Das hatte nicht viel ausgemacht, solange Dragosz noch am Leben gewesen war, denn er hatte seinen Sohn mit einem Blick oder notfalls auch mit einem scharfen Wort zur Vernunft bringen können.
Doch jetzt, da sie vorsichtig in Richtung ihrer Höhle weiterkletterte, die sie inzwischen entdeckt zu haben glaubte, begann sich Arri große Sorgen um Isana zu machen. Taru war vollkommen unberechenbar. In ihm hatten Großzügigkeit und Leichtigkeit schon immer gegen eine düstere Seite gekämpft, die ihn dazu antrieb, schreckliche Dinge zu tun. Diesmal ging es jedoch nicht um ein paar Streiche oder einen kleinen Rachefeldzug, diesmal ging es um Tod und Leben.
Was geschah denn nun, wenn Taru Isana zwingen wollte, ihm auf der Suche nach seiner jungen Stiefmutter zu helfen? Was, wenn seine unbeherrschte Seite wieder einmal die Oberhand gewann und er Isana Gewalt antat, nur um sie, die verhasste Drude, zu treffen?
Diese Vorstellung ließ Arri alles andere vergessen und trieb sie dazu an, sich einfach nur auf die nächsten Schritte zu konzentrieren. Ohne Gewalt würde es diesmal nicht gehen, das spürte sie ganz deutlich. Sie musste unbedingt ihr Schwert holen. Nur mit seiner Hilfe konnte sie sich Taru entgegenstellen und Isana aus seinen Fängen befreien.
Statt sich also weiter in den Schutz der Felsnase zurückzuziehen, beugte sie sich nun erneut ein wenig vor. Dragosz und sie waren damals ein gutes Stück nach oben geklettert, bevor sie auf die Höhle gestoßen waren, die hinter allerlei Gestrüpp verborgen lag. Aber jetzt, da sie zum ersten Mal wie ein Vogel hinabblickte, erkannte sie, wie hoch sie sich eigentlich gewagt hatte.
So wurde sie mit einem grandiosen Ausblick auf das steinerne Wunder unter sich belohnt, der ihr wahrscheinlich unter glücklicheren Umständen aus ganz anderen Gründen als jetzt einen kalten Schauer über den Rücken gejagt hätte. Wie übergroße Finger stachen Steinmonolithen in den Himmel empor, manche nur zur Hälfte aus dem Steinbruch herausgehauen und merkwürdig unfertig aussehend, andere wie Findlinge ohne jegliche Spur einer Bearbeitung, während eine Vielzahl der größten unter ihnen teilweise oder vollständig behauen waren. Einige waren mit Moos und Flechten bewachsen, die meisten glichen aber grauschwarzen Ungetümen, die so aussahen, als hätten sie die Götter als Mahnung an die Menschen in den Untergrund gerammt, um sich nur nicht allzu wichtig zu nehmen.
Arri hatte keine Ahnung, wie lange diese steinernen Zeugen einer vergangenen Menschheitsepoche hier schon standen und mit sturer Beharrlichkeit selbst den heftigsten Unwettern trotzten. Aber sie konnte sich durchaus vorstellen, dass sie sich hier immer noch dem Himmel entgegenrecken würden, wenn sie, Dragosz und die Raker selbst schon längst zu Staub verfallen und vergessen waren.
Der beeindruckendste Stein war jedoch derjenige, der wie der Kopf einer riesigen Krähe aussah. Von hier oben aus wirkte er täuschend echt, so als habe sich in dem Tal unter ihr ein riesiger schwarzer Vogel niedergelassen, der nun mit seinen großen schwarzen Augen alles unter Beobachtung hielt, was in seiner näheren Umgebung geschah. Als würde die schwarze Krähe in einem Nest hocken, so lag ihr massiger Körper dabei hinter weiteren Steinen verborgen, die ihn vom Boden aus gesehen nach fast allen Richtungen abschirmten.
Dass ihr Herz einen Satz tat, lag jedoch nicht an dem steinernen Vogelkopf, sondern daran, dass sie nun wieder ganz genau wusste, wo sie war: genau oberhalb ihrer Höhle.
Von hier aus erschien ihr der Eingang allerdings ganz anders, als wenn man von unten kam. Die Dornen des Gestrüpps wirkten spitzer und gefährlicher, das davon halb verdeckte schwarze Loch dahinter aber abweisend und feindlich. Selbst, wenn jemand von unten hier hinaufkletterte, wäre es fraglich, ob er sich die Kleidung an den Dornen zerreißen wollte, nur um in dieses dunkle Loch zu krabbeln, in dem alles Mögliche lauern konnte: Schlangen, Bären oder Höhlenlöwen.
Arri schreckte das jedoch nicht. Als sie das erste Mal hier gewesen war, hatte sie Dragosz an ihrer Seite
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