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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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blätterte in seinen Notizen, als ob sie nichts gesagt hätte.
    »Hallo«, flötete sie, »du kannst mich ruhig anschauen. Das, was ich hab, ist nicht ansteckend.«
    »Verpiss dich«, knurrte er, ohne aufzusehen.
    Kyra spürte, wie sie rot wurde. Sie hoffte, dass ihr Gesicht noch verbläut genug war, um den peinlichen Farbton untergehen zu lassen. Am Fenster entdeckte sie den Kleiderschrank mit der Baseballkappe, den sie gestern nach Freddy gefragt hatte.
    »Morgen.« Kyra schob sich mühsam um ihn herum. Er kam ihr heute noch größer vor als gestern. »Kannst du mir vielleicht verraten, was hier los ist?«
    Ohne zu lächeln, schaute er sie an und wieder zum Fenster hinaus. »Die Pressekonferenz muss jeden Augenblick losgehen. Ansonsten hab ich auch noch nix gehört.«
    Trotz geprellter Rippen rückte Kyra einen Schritt näher. »Ich will wissen, was mit mir oder besser gesagt: mit euch
los ist. Gibts da irgendnen Ehrenkodex, der verbietet, mit zusammengeschlagenen Frauen zu sprechen?«
    Der Kleiderschrank nahm seine Baseballkappe ab. »Na ja«, entschloss er sich nach einer Weile zu sagen, »ich mein, was du da gemacht hast, war schon ziemlich hart.« Er fingerte an seiner Kappe herum. »Der Freddy hat geblutet wie ne Sau.«
    »Ach nee. Das is ja reizend.« Kyra stemmte einen Arm in die schmerzende Seite. »Und ich seh vielleicht aus, als ob ich gestern Nacht zum Mondscheinpeeling im Kosmetiksalon gewesen wär.«
    »Na ja.« Er schaute sie unsicher an. »Ich weiß, der Freddy kann ganz schön zupacken, und klar, Mann, ich - ich an deiner Stelle, so als Frau, ich hätt mich auch mit allen Mitteln gewehrt, aber«, er schob den Unterkiefer nach vorn und nickte zwei Mal sehr ernst, »ich mein, ihm gleich das halbe Ohr abbeißen, das ist schon n bisschen heavy.«
    »Was?« Kyra verzog das Gesicht und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Was redest du da? Halbes Ohr abbeißen?«
    »Vielleicht wars auch nur n Drittel, aber trotzdem.« Der Kleiderschrank setzte seine Baseballkappe auf und schaute wieder zum Fenster hinaus.
     
    »Ahoi«, rief der Penner und schwenkte seine Schnapsflasche, »sucht ihr n Schatz?«
    Die anderen Penner, die wie er ihr Sommerlager im Bullenwinkel aufgeschlagen hatten, lachten. »Bisse bekloppt, Mann«, sagte einer und schlug ihm an den Schädel. »Issoch nicher Silbersee.«
    Der Froschmann, der neben dem Schlauchboot aufgetaucht war, nahm keinerlei Notiz von den halb nackten Gestalten, die am anderen Ufer lagerten. Er machte den beiden Männern im Boot ein Zeichen und verschwand wieder unter der glitzernden Wasseroberfläche.
    Blass und angespannt stand Erika Konrad am Waldrand.
Die Polizei hatte den Strand an dieser Seite des Grunewaldsees weiträumig abgesperrt. Ringsum kläfften die vertriebenen Köter, denen der Strand sonst gehörte.
    Eine schwere Mittagshitze kündigte sich an. Dennoch fror Erika Konrad, als ob sie mitten im Januar stünde.
    »Entschuldigung«, sagte sie zu der uniformierten Beamtin, an deren linkes Handgelenk sie angekettet war, »mir ist kalt. Könnten wir vielleicht ein Stück nach vorn in die Sonne gehen?«
    »Ich habe Anweisung, hier mit Ihnen zu warten«, entgegnete die Frau, ohne sie anzuschauen.
    Wie lange es wohl noch dauern würde? Die ganze Situation war unwirklich. Erika Konrad neigte den Kopf zur Seite und zog die Schulter hoch, bis sie das Ohr berührte. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn die Sache hier vorbei war. Ihr Kopf neigte sich zur anderen Schulter.
    Kriminalhauptkommissar Heinrich Priesske kam auf sie zu. Seine üble Laune wehte ihm voraus wie eine Fahne.
    »Frau Konrad«, bellte er sie an, »meine Leute suchen jetzt seit drei Stunden. Meine Geduld ist am Ende. Wenn Sie uns etwas sagen wollen, dann tun Sie es jetzt.«
    »Ich habe den Kopf dort ins Wasser geworfen«, wiederholte sie und zeigte auf die Stelle, auf die sie heute schon mindestens zehn Mal gezeigt hatte.
    Der Kommissar kickte wütend einen Kiefernzapfen fort, der neben seinem Schuh im Sand lag. »Ich warne Sie. Wenn Sie uns einen Bären aufbinden, kriegen Sie Ärger, dass Sie nicht mehr wissen, wo vorn und hinten ist. Das verspreche ich Ihnen.«
    Erika Konrad zuckte die Achseln. Mit der freien Hand fuhr sie sich über die Gänsehaut am Oberarm. »Vielleicht hat ein Hund den Kopf weggeschleppt. Sie sehen doch, wie viele Hunde hier überall sind.«
    Heinrich Priesske knurrte etwas Unverständliches. Vom See her machte der Froschmann aufgeregte Zeichen.

    Ohr abgebissen. Halbes Ohr

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