Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Handflächen auf den Tisch. »Der soll sie ruhig spritzen oder sonst was mit ihr anstellen. Wenn er sie nicht in der nächsten Stunde wieder flott gemacht hat, kriege ich einen dreifachen Nervenzusammenbruch. Sagen Sie das diesem verdammten Weißkittel.«
»Alles zur Zufriedenheit?« Geduldig hatte der hübsche Kellner an der Fußgängerampel ausgeharrt, bis ihr grünes Licht ihm erlaubte, den Verkehrsstrom, der den Bürgersteig vorm Morgenstern und die Mittelinsel trennte, zu durchqueren.
»Jawohl«, sagte Kyra überschwänglich. »Alles bestens.«
»Bloß habts ihr hier keine Ahnung, wie man einen anständigen Kren zum Tafelspitz macht«, brummte Franz.
»Hatte der Herr etwas zu beanstanden?«, erkundigte sich der Kellner besorgt.
Kyra antwortete, bevor Franz den Mund ein zweites Mal öffnen konnte. »Vergessen Sies einfach. Der Herr hat immer was zu beanstanden.«
Der hübsche Kellner lächelte zurück und begann, sich die schmutzigen Teller auf den Arm zu laden. Seine lange weiße Schürze leuchtete in der Sonne. »Wünschen die Herrschaften vielleicht noch einen Kaffee oder einen Grappa oder -«
»Espresso und Grappa«, bestätigte Kyra. Sie warf Franz einen fragenden Blick zu. Er nickte beleidigt. »Also dann: zweimal das Ganze.«
»Sehr wohl.« In elegantem Bogen entfernte sich der Kellner vom Tisch.
Franz stieß wütend die Luft aus. »Jessas, wo haben die
diesen geleckten Schnösel her. Wünschen die Herrschaften einen Kaffee«, äffte er ihn nach. »Warum kann man in Berlin keine echten Kellner bekommen, sondern immer nur dieses Studententheater.«
Kyra schaute versonnen zur Fußgängerampel, wo der Kellner stand und wartete. »Aber er ist doch so schön.«
Franz beugte sich über den Tisch. »Ich sags dir. Dieser Strizzi da letzte Nacht hat dein Hirn erwischt.«
Kyra lachte leise. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie sich das Leben ohne den österreichischen Brummbären angefühlt hatte. Schade, dass sie keinen Artikel über ihn schreiben konnte. Die richtige Überschrift hätte sie schon gehabt: Der Minnegrantler.
Der Kellner kam zurück. Schwungvoll verteilte er die Kaffeetassen und Grappagläser auf dem Tisch. Kyra bedankte sich mit einem doppelten Augenaufschlag.
»Entschuldigen Sie«, sagte er plötzlich und klang gar nicht mehr wie lange weiße Schürze, »dürfte ich Sie einen Moment stören? Es ist mir wirklich unangenehm, aber ich habe da ein Problem, und vielleicht können Sie mir weiterhelfen?«
Kyra steckte sich eine Zigarette an. Genüsslich blies sie den Rauch in seine Richtung. »Vielleicht.«
Trotz seines dunkel gepflegten Teints sah man den Kellner erröten. »Sie arbeiten doch beim Berliner Morgen. Und ich - also ich studiere Germanistik, und letzten Monat, da habe ich Herrn Konrad bei einer Veranstaltung im Literaturhaus kennen gelernt, und da hat er mir versprochen, dass ich ein Praktikum bei Ihnen im Feuilleton machen könnte.« Er wurde noch eine Nuance röter. »Und ich weiß jetzt eben nicht, jetzt, wo er - wo er - ob er das mit dem Praktikum schon in die Wege geleitet hat.«
Kyra war nicht sicher, ob Lächeln-durch-abgesplitterte-Schneidezähne-hindurch auch im Handbuch der Verführerin stand, aber irgendwie fühlte es sich gut an.
»Ich werd mich mal umhören«, versprach sie und berührte den Reißzahn mit ihrer Zungenspitze.
»Das würden Sie wirklich für mich tun? Das wäre ja riesig nett.«
»Tja. So bin ich eben.«
»Oh, danke. Vielen Dank. Ich darf Sie dann also demnächst noch mal auf die Sache ansprechen?«
»Dürfen Sie.«
»Mensch, das ist jetzt wirklich eine Riesenerleichterung für mich. Danke. Danke.«
Eine Sekunde lang glaubte Kyra, er würde sich bücken und sie auf den Mund küssen, aber dann schulterte er doch nur sein Tablett und verschwand in Richtung Fußgängerampel.
»So ein netter Junge«, sagte sie.
»Kyra.« Franz krächzte vor Panik. »Du wirst diesem Hupfer doch nicht im Ernst ein Praktikum verschaffen wollen.«
Jetzt erst bemerkte sie den verschmauchten Zigarettenstummel, der immer noch zwischen ihren Fingern steckte, und ließ ihn fallen.
»Wie sagt ihr in Wien? Was a Mann schöner is als a Aff is a Luxus?« Sie blinzelte Franz an. »Aber findest du nicht auch, dass Luxus etwas Wunderbares ist?«
Zurückgelehnt, die Sonne im Gesicht, verfolgte Kyra, wie sich der Kellner mit weichem Hüftschwung durch den Verkehr schlängelte. Sie stellte sich vor, wie sie ihm nachging, von hinten Schürze, Hose,
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