Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
nachfolgten.
    Jetzt galt es nun, den Tag abzuwarten. Statt die langen Stunden aber unter freiem Himmel hinzubringen, erschien es doch rathsamer, einstweilen an Bord zurückzukehren. Der Kapitän gab auch einen bezüglichen Befehl. Wenn es nicht möglich war, die fast ganz zerstörte Cajüte oder das Volkslogis zu heizen, fanden die Mannschaften hier doch wenigstens Schutz gegen den rasenden Schneesturm.
    Bei Tagesanbruch wollte Bourcart dann sehen, was weiter zu thun wäre.
    Der »Saint Enoch« stand zwar, durch Eisblöcke gestützt, ziemlich gerade aufrecht, hatte aber Beschädigungen erlitten, die jede Ausbesserung ausschlossen. Der Rumpf war unter der Schwimmlinie an mehreren Stellen eingestoßen, die Deckplanken zersprengt oder verschoben und die inneren Wände ebenso von ihrem Platze weggerückt. Die Officiere konnten indeß noch nothdürftig in der Cajüte, die Mannschaften im Frachtraume oder im Volkslogis Unterkommen finden.
    Das war also der Ausgang eines unerhörten Abenteuers, soweit dieses der gewaltigen Bewegung des Meeresbodens zwischen dem fünfzigsten und dem siebzigsten Breitengrade zuzuschreiben war.
    Was sollte nun aus den Schiffbrüchigen des »Saint Enoch« und des »Repton« werden?
    Bourcart und der Obersteuermann hatten unter den Trümmern der Cajüte ihre Seekarten noch wiedergefunden. Beim Scheine einer Laterne suchten sie die augenblickliche Ortslage des »Saint Enoch« zu bestimmen.
    »Vom Abend des zweiundzwanzigsten October an bis zum Abend des dreiundzwanzigsten, begann Bourcart, hat uns die Woge dem Nordwesten des Polarmeeres zugetragen…
    – Und mit einer Geschwindigkeit, die mindestens auf vierzig Lieues in der Stunde zu schätzen ist, fuhr Heurtaux fort.
    – Es würde mich auch gar nicht wunder nehmen, erklärte der Kapitän, wenn wir dabei in die Gewässer des Wrangellandes getrieben worden wären.«
    Irrte sich Bourcart hierin nicht und reichte das Eis bis zum nächsten Theile der sibirischen Küste, so war nur die Longstraße zu überschreiten, um nach dem Lande der Tschuktschen zu kommen, dessen äußersten Ausläufer im Eismeere das (asiatische) Nordcap bildet. Vielleicht war es jedoch beklagenswerth, daß der »Saint Enoch« nicht etwas weiter westlich, nach dem Archipel von Neusibirien verschlagen worden war.
    Von der Lenamündung aus wäre die Heimkehr unter günstigeren Verhältnissen möglich gewesen, denn in dem vom Polarkreise durchschnittenen Gebiete der Jakuten fehlt es nicht an Dörfern und Flecken.
    Alles in allem schien die Lage der Dinge keine verzweifelte zu sein, offenbar winkte den Schiffbrüchigen noch einige Aussicht auf Rettung, wenn diese auch mit den größten Anstrengungen und Entbehrungen, mit Mangel und Elend verbunden war. Zu Fuß hunderte von Meilen über das Eisfeld, ohne jeden Schutz, der Unbill der Winterwitterung des hohen Nordens ausgesetzt… das war nicht gerade verlockend. Ueberdies mußte die Longstraße in ihrer ganzen Breite fest zugefroren sein, um die Küste Sibiriens erreichen zu können.
    »Das schlimmste Unglück, äußerte Heurtaux, ist doch, daß die Havarien des »Saint Enoch« nicht auszubessern sind! Es wäre vielleicht möglich gewesen, einen Canal durch das Eisfeld zu brechen, und dann hätten wir auf dem Wasser weiter gelangen können…
    – Und dazu, bemerkte Bourcart wie abwehrend, hätten wir nicht einmal ein einziges Boot zur Verfügung gehabt. Wollten wir solche und so viele, daß sie über fünfzig Mann aufnehmen könnten, erst aus den Trümmern des »Saint Enoch« erbauen, so würden unsere Lebensmittel wohl noch vor deren Vollendung verbraucht sein.«
    Endlich wurde es wieder hell, die bleiche, fast licht-und wärmelose Scheibe der Sonne stieg aber nur wenig über den Horizont hinaus.
    Das Eisfeld erstreckte sich über Sehweite hinaus nach Osten wie nach Westen. Im Süden lag die von Schollen wimmelnde Longstraße; noch hatte der Frost keine ununterbrochene Eisdecke bis zur sibirischen Küste zusammengelöthet. Ehe diese Gegenden aber nicht in ihrer ganzen Ausdehnung fest gefroren waren, konnten Bourcart und seine Gefährten sie nicht durchmessen, um nach dem Festlande zu gelangen.
    Alle verließen wieder das Schiff und der Kapitän ordnete eine eingehende Untersuchung des »Saint Enoch« an.
    Dabei durfte man sich keiner Illusion hingeben. Nach ihrer Untersuchung berichteten der Zimmermann Ferut und der Schmied Thomas, daß die Bordwand eingedrückt, die Rippen zum Theil zerbrochen, viele Planken abgerissen, der

Weitere Kostenlose Bücher