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Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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heuersuchenden Seeleute halten.
    Bourcart und Brunel waren an dem metallenen Gerüst der Nebelglocke auf der halbrunden Terrasse am Ende des Hafendammes stehen geblieben. Der Maregraph zeigte gerade die tiefste Ebbe an, und der Signalmast trug weder Flagge noch Wimpel. Kein Fahrzeug schickte sich an auszulaufen, und selbst die Fischerschaluppen hätten bei der Tiefebbe beim Neumond kaum genug Wasser vorgefunden. Aus diesem Grunde fehlte es auch ganz an Neugierigen, die sich bei Hochwasser zu sammeln pflegten. Die Schiffe von Honfleur, Trouville, von Caen und Southampton lagen vertäut an ihren Büllen, und vor der dritten Nachmittagsstunde war keine Bewegung im Außenhafen zu erwarten.
    Kurze Zeit schweiften die Augen des Kapitäns Bourcart nach dem offenen Meere hinaus und über die große Wasserfläche zwischen den fernen Anhöhen von Ouistreham und dem felsigen Steilufer vor den Leuchtthürmen des Caps de la Hève hin. Die Witterung war unbestimmt und der Himmel in großer Höhe mit grauen Wolken halb bedeckt. Der Wind wehte aus Nordosten als leichte, unstäte Brise, die mit dem Eintritte der Fluth voraussichtlich auffrischte.
    Einzelne Schiffe glitten über die Bucht dahin; hier hoben sich weiße Segel vom östlichen Horizonte ab, dort schwebten lange Rauchsäulen in der schwachbewegten Luft. Natürlich war es ein etwas neidischer Blick, den Bourcart seinen mehr begünstigten Collegen nachsandte, die den Hafen schon verlassen hatten. Selbstverständlich drückte er sich auch auf diese Entfernung hin in der höflichsten Form aus, denn seine angeborene Urbanität hätte es nicht zugelassen jene wie ein gewöhnlicher alter Seebär zu behandeln.
    »Ja, ja, sagte er zu Brunel, die wackeren Leute da machen mit dem Winde im Rücken gute Fahrt, während ich noch im inneren Becken liege und die Sorrtaue nicht loswerfen kann! Das nennt man doch wirklich Pech haben, und das ist das erste Mal, daß es dem »Saint Enoch« so schlecht geht…
    – Gedulden Sie sich nur, lieber Bourcart, antwortete der Hafenkapitän lachend; wenn Sie jetzt nicht gleich auslaufen können…
    – O, hab’ ich denn nicht schon seit vierzehn Tagen Geduld gehabt! rief der Kapitän nicht ohne einige Bitterkeit.
    – Zugegeben. Ihr Schiff kann aber viel Leinwand tragen, und Sie werden die verlorene Zeit bald einholen. Mit elf Knoten, bei guter Brise, kommt man schon ein Stück vorwärts. Doch sagen Sie mir, Bourcart, geht es mit dem Doctor Sinoquet noch immer nicht besser?
     

    »Ueberlegen Sie sich die Sache, Meister Cabidoulin.« (S. 19.)
     
    – Leider nein, wenn er auch nicht gerade schwer krank ist, der vortreffliche Doctor. Nur rheumatische Schmerzen nageln ihn ans Bett, und davon hat er noch für mehrere Wochen genug. Wer hätte das je geglaubt von einem Manne, der so sehr ans Meer gewöhnt war und der mit mir alle Theile des Großen Oceans besucht hat…
    – O, fiel der Hafenkapitän ein, vielleicht sind es gerade die vielen Reisen, durch die er sich sein Leiden zugezogen hat.
    – Nein, nein… das gewiß nicht, versicherte der Kapitän Bourcart. Ein Rheumatismus, den sich einer an Bord des »Saint Enoch« geholt hätte!.. Warum denn nicht gleich die Cholera oder das gelbe Fieber?… Nein, wie konnten Sie nur auf einen solchen Gedanken kommen, liebster Brunel?…«
    Wie verdutzt durch eine so ungeheuerliche Muthmaßung ließ Bourcart die Arme sinken. Der »Saint Enoch«… ein so musterhaft ausgerüstetes Schiff mit allen Bequemlichkeiten und undurchdringlich für die geringste Feuchtigkeit!… Ein Rheumatismus!… Den holte man sich jedenfalls eher im Sitzungssaale des Rathhauses oder in den Salons der Unterpräfectur, als in den Cabinen oder der gemeinschaftlichen Cajüte des »Saint Enoch«!… Ein Rheumatismus!… Hatte er selbst denn jemals etwas davon gespürt?… Und er verließ doch sein Schiff niemals, weder wenn er irgend einen Platz angelaufen hatte, noch wenn er im Hafen von Havre festlag. Eine Wohnung in der Stadt… ei, das wäre, wenn man sein Unterkommen an Bord hat! Das hätte er nicht mit den prächtigsten Zimmern des Hôtel de Bordeaux oder du Terminus vertauscht… Ein Rheumatismus!… Nein, nicht einmal ein simpler Schnupfen! Wer hätte denn jemals an Bord des »Saint Enoch« einen niesen hören?
    Der brave Mann kam allmählich ins Feuer und hätte wohl noch lange in gleicher Weise weiter ge-und widersprochen, wenn ihn der Hafenkapitän nicht unterbrochen hätte.
    »Na ja, ich will’s ja zugeben, lieber Bourcart,

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