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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dunkler zu werden.
    »Vielleicht ist es nur eine Öllampe«, meinte William schließlich. »Eine von denen, die den Mönchen hier vorgaukeln sollen, dass die Bibliothek von den Seelen der toten Bibliothekare bewacht wird. Ich muss das genauer wissen. Bleib hier und halt die Lampe verdeckt. Ich gehe vorsichtig hin.«
    Noch ganz beschämt über das erbärmliche Bild, das ich vorhin vor dem Spiegel abgegeben hatte, wollte ich mich jetzt vor William bewähren und sagte daher entschlossen: »Nein, ich gehe hin, Ihr bleibt hier. Ich werde vorsichtig sein, ich bin kleiner und leichter. Sobald ich glaube, dass keine Gefahr besteht, rufe ich Euch.«
    Und schon war ich unterwegs. Vorsichtig tastete ich mich durch zwei Räume an den Wänden entlang, leichtfüßig wie eine Katze (oder wie ein Novize, der sich nachts in die Küche schleicht, um Käse aus der Speisekammer zu naschen – darin war ich zu Hause in Melk sehr gut gewesen). Vor der Schwelle des Raumes, aus dem der Lichtschimmer kam, drückte ich mich an die Wand hinter der rechten Säule, die den Türbogen stützte, und spähte hinein. Niemand war zu sehen. Auf dem Tisch stand eine rußig blakende Lampe. Es war keine Öllampe wie die unsere, sie glich eher einem gedeckten Weihrauchfässchen, und sie leuchtete auch nicht richtig, sondern glomm nur schwach. Ich fasste mir ein Herz und trat in den Raum. Auf dem Tisch neben dem glimmenden Fässchen lag aufgeschlagen ein großes farbig bemaltes Buch. Ich trat näher und entdeckte vier Streifen von verschiedener Farbe: gelb, zinnober, türkis und hellbraun. Darauf ein schrecklich anzusehendes Untier, ein Drache mit zehn Köpfen, der mit dem Schweif die Sterne am Himmel erfasste und niederwarf auf die Erde. Und plötzlich vervielfachte sich der Drache, und die Schuppen seiner Haut wuchsen zu einem Wald von feurigen Zacken, die sich aus dem Buch erhoben und meinen Kopf umtanzten. Ich prallte zurück, taumelte, fiel auf den Rücken und sah die Decke über mir bersten. Dann hörte ich ein Zischen wie von tausend Schlangen, aber es klang nicht schrecklich, sondern eher verführerisch, und in einem Lichtkranz erschien ein Weib, das seine Lippen den meinen näherte und mich anhauchte. Mit gestreckten Armen schob ich das Weib von mir weg, und mir war, als ob meine Hände die Bücher im Schrank vor mir berührten, die sich ausdehnten und ins Unermessliche wuchsen. Ich wusste nicht mehr, wo ich war, noch wo sich Himmel und Erde befanden. Mitten im Zimmer erblickte ich Berengar, der mich widerlich grinsend anstarrte, bebend vor Wollust. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht, und sie kamen mir vor wie Krötenkrallen, kalt und glibberig. Entsetzt schrie ich auf, spürte einen bitteren Geschmack im Munde und sank in ein unendliches Dunkel, das sich weiter und weiter unter mir auftat. Dann wusste ich nichts mehr.
    Nach einer halben Ewigkeit weckten mich harte Donnerschläge, die in meinem Kopf explodierten. Ich lag auf dem Boden, und William gab mir leichte Klapse auf die Wangen. Wir waren nicht mehr in jenem Zimmer, meine Augen fielen auf eine Inschrift mit den Worten Requiescant a laboribus suis.
    »Auf, auf, Adson!« ermunterte mich William. »Es ist nichts...«
    »Aber die Gesichter...«, stammelte ich benommen, »dort drüben, der Drache...«
    »Kein Drache ist da. Ich fand dich ohnmächtig auf dem Boden vor einem Tisch, auf dem eine prächtige mozarabische Apokalypse lag, aufgeschlagen auf der Seite, wo das mit der Sonne bekleidete Weib – mulier amicta sole – dem roten Drachen entgegentritt. Am Geruch merkte ich gleich, dass du etwas Schlechtes eingeatmet hattest, und trug dich rasch hinaus. Auch mir dröhnt der Kopf.«
    »Und was habe ich gesehen?«
    »Gar nichts hast du gesehen. In der Lampe werden Substanzen verbrannt, die Visionen hervorrufen. Ich habe den Geruch wiedererkannt, es ist ein arabisches Zeug – möglicherweise das gleiche, das der Alte vom Berge seinen Assassinen eingab, bevor er sie zu ihren Meuchelmorden aussandte. Das Geheimnis der Visionen hätten wir also geklärt: Jemand füllt diese Lampe mit Zauberkräutern für die Nacht, damit ungebetene Besucher glauben, die Bibliothek werde durch höllische Mächte beschützt. Aber erzähl doch mal, was hast du gesehen?«
    Ich erzählte ihm reichlich wirr von meiner Vision, und William lachte: »Zur Hälfte hast du vergrößert, was du in dem Buch erblicktest, und zur anderen Hälfte hast du einfach deinen Wünschen und Ängsten freien Lauf gelassen. Genau das ist

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