Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
vorgeworfen, die Autorität der Priester und die heilige Messe und die Beichte nicht anzuerkennen und ein Vagabundenleben zu führen.«
    »Aber das wurde doch auch den franziskanischen Spiritualen vorgeworfen. Und sagen die Minoriten nicht heute gleichfalls, man brauche die Autorität des Papstes nicht anzuerkennen?«
    »Ja, die Autorität des Papstes, aber die der Priester schon. Ach, es ist schwierig, mein Sohn, in diesen Dingen genau zu unterscheiden. Die Scheidelinie, die zwischen gut und böse verläuft, ist ungemein subtil... Irgendwie irrte Gherardo und befleckte sich mit Häresie... Er bat um Aufnahme in den Orden der Minderen Brüder, doch unsere Confratres akzeptierten ihn nicht. Er verbrachte die Tage in der Kirche unserer Brüder und sah, dass die Apostel auf den Bildern Sandalen anhatten und lange Gewänder, und so ließ er sich das Haar und den Bart wachsen, zog Sandalen an und band sich die Kordel der Minoriten um den Leib, denn wer heutzutage eine neue Kongregation gründen will, nimmt sich immer etwas vom Orden des heiligen Franz...«
    »Aber darin tat er doch recht...«
    »Ja, aber in anderem irrte er... Gekleidet in einen weißen Mantel über einem weißen Hemd, umwallt von seinem langen Haupthaar, erwarb er sich bei den einfachen Leuten bald den Ruf eines Heiligen. Er verkaufte ein kleines Häuschen, das er besaß, und setzte sich auf einen Stein von der Art, wie ihn einst die Machthaber zu besteigen pflegten, wenn sie Reden ans Volk halten wollten, gab aber das Geld nicht aus und schenkte es auch nicht den Armen, sondern rief die Gauner und Strolche herbei, die in der Gegend ihr Unwesen trieben, und warf es unter sie mit den Worten: ›Wer will, der nehme!‹ Und die Gauner nahmen das Geld und gingen hin und verspielten es beim Würfeln und lästerten den lebendigen Gott. Und Gherardo, der ihnen das Geld gegeben, hörte sie lästern und errötete nicht.«
    »Aber auch Franz von Assisi gab alles fort, was er besaß, und wie ich heute von Bruder William erfuhr, ging er hin und predigte nicht nur den Raben und Raubvögeln, sondern auch den Aussätzigen, und das heißt dem Abschaum, den die braven Schafe, die sich für tugendhaft halten, an die Ränder der Herde verdrängen...«
    »Ja, aber in einem irrte Gherardo, der heilige Franz verging sich nie an der heiligen Kirche, und das Evangelium gebietet, den Armen zu geben, nicht den Gaunern und Strolchen. Gherardo gab, ohne etwas dafür zu bekommen, denn er gab dem Gesindel, und so schlimm die Geschichte begann, so schlimm ging sie weiter, und so schlimm musste sie schließlich enden, denn seine Kongregation wurde von Papst Gregor X. nicht anerkannt.«
    »Vielleicht«, gab ich zu bedenken, »war jener Papst nicht so weitsichtig wie sein Vorgänger, der die Regel des heiligen Franz anerkannte...«
    »Ja, aber in einem irrte Gherardo, während Franz immer sehr genau wusste, was er tat. Und bedenke bitte, mein Sohn, jene einfachen Schweine- und Rinderhirten, die über Nacht Pseudo-Apostel geworden waren, wollten sorglos und ohne im Schweiße ihres Angesichtes zu arbeiten von den Almosen derer leben, die unsere Minderen Brüder mit so viel Mühe und heroischer Aufopferung durch ihr eigenes Beispiel zur Armut erzogen hatten! Aber darum geht es nicht«, fügte Ubertin rasch hinzu. »Denn um den Aposteln zu gleichen, die schließlich, bevor sie zu Jüngern des Herrn geworden, noch Juden gewesen waren, ließ sich Gherardo sogar beschneiden, entgegen der Mahnung des Paulus an die Galater – und wie du weißt, haben viele heilige Männer geweissagt, dass der Antichrist aus dem Volk der Beschnittenen kommen werde... Aber er tat noch Schlimmeres: Er rief die einfachen Leute zusammen und sprach: ›Folget mir in den Weingarten‹, und die ihn nicht kannten, gingen mit ihm in fremde Gärten, da sie glaubten, es seien die seinen, und aßen die Trauben anderer...«
    »Ihr werdet mir doch nicht weismachen wollen, dass ausgerechnet die Minderen Brüder das Eigentum anderer verteidigen«, sagte ich reichlich keck.
    Ubertin sah mir streng in die Augen: »Die Minderen Brüder wollen in Armut leben, doch sie haben niemals von anderen verlangt, ebenfalls arm zu sein! Du kannst dich nicht straflos am Eigentum guter Christen vergreifen, die guten Christen werden dich sonst als Räuber bezeichnen. Wie sie es mit Gherardo taten. Von dem sie am Ende sogar behaupteten (und merke: ich weiß nicht, ob es zutraf, ich stütze mich hier auf die Worte des Fra Salimbene, der jene Leute

Weitere Kostenlose Bücher