Die historischen Romane
der Türen und die türlosen Wände (und die Fenster), sondern auch die Anfangsbuchstaben der Inschriften über den Türen, und mach die roten Buchstaben etwas größer, wie es ein guter Miniaturenmaler tut.«
»Das werde ich tun«, versprach ich und sah meinen Meister voller Bewunderung an. »Aber sagt mir, wie kommt es, dass Ihr das Rätsel der Bibliothek durch Betrachtung von außen habt lösen können, während es Euch verschlossen blieb, als Ihr drinnen wart?«
»Das ist wie mit dem Gesetz der Welt. Gott kennt es, weil er die Welt, bevor er sie schuf, in seinem Geist konzipierte, also gleichsam von außen ersann. Wir Menschen dagegen erkennen es nicht, weil wir in der Welt leben und sie bereits fertig vorfinden.«
»Also kann man die Dinge durch Betrachtung von außen erkennen?«
»Die Dinge der Kunst jedenfalls, denn wir können die Operationen des Künstlers in unserem Geist nachvollziehen. Nicht aber die Dinge der Natur, denn die Natur ist kein Werk unseres Geistes.«
»Aber für die Bibliothek genügt unser Geist, nicht wahr?«
»Ja, aber nur für die Bibliothek! Doch lass uns jetzt schlafen gehen. Ich kann heute sowieso nichts mehr tun und muss warten, bis ich meine Linsen habe, was hoffentlich morgen der Fall sein wird. Also gehen wir lieber früh zu Bett und stehen früh auf. Ich will versuchen, noch ein wenig nachzudenken.«
»Und das Abendessen?«
»Ach ja, das Abendessen, das haben wir ganz vergessen! Und jetzt ist es sicher zu spät, die Mönche sind schon zum Nachtgottesdienst in der Kirche. Aber vielleicht ist die Küche noch offen. Sieh doch mal, ob du uns nicht noch etwas besorgen kannst.«
»Stehlen?«
»Nein, nur erbitten. Zum Beispiel von Salvatore, er ist doch jetzt dein Freund.«
»Aber dann stiehlt er es!«
»Willst du deines Bruders Hüter sein?« fragte William mit den Worten Kains. Doch das war nur ein Scherz, und er meinte wohl, dass Gott gnädig sein und sich unserer schon irgendwie erbarmen werde. So begab ich mich auf die Suche nach Salvatore und fand ihn auch bald im Stall bei den Pferden.
»Prächtiges Tier«, sagte ich, um ein Gespräch zu beginnen, und deutete auf Brunellus. »Würde ich gern einmal reiten.«
»Geht nich. Verboten. Abbonis est. Brauchst aber kein bonum cavallum, pour courir vite.« Er wies auf einen robusten, aber plumpen Gaul: »Anco quello sufficit... Vide illuc, tertius equi...«
Er meinte das dritte Pferd in der Reihe, und ich musste lachen über sein Küchenlatein. »Und was muss ich tun, damit es schnell läuft?« fragte ich ihn.
Da erzählte er mir eine sonderbare Geschichte. Er sagte, man könne jedes beliebige Pferd, auch den lahmsten Klepper, genauso schnell wie Brunellus machen. Man brauche ihm nur ein fein gehäckseltes Kraut namens Satyrion in den Hafer zu mischen und die Schenkel mit Hirschtalg einzureiben. Alsdann besteige man es, und ehe man ihm die Sporen gebe, drehe man seine Nüstern gen Osten und sage ihm dreimal leise die Worte »Kaspar, Merchior, Merchisardo« ins Ohr. Daraufhin werde es mächtig schnell loslaufen (»mucho rrrapido«) und in einer Stunde so weit gelangen wie Brunellus in deren acht. Und wenn man ihm dann noch die Zähne eines Wolfes, den es selber getötet hätte in seinem rasenden Lauf, an einem Band um den Hals hänge, werde es nimmermehr Müdigkeit spüren.
Ich fragte Salvatore, ob er das Rezept je ausprobiert hätte. Er schaute sich ängstlich um, trat nahe an mich heran, so dass ich seinen nicht eben erquicklichen Atem roch, und flüsterte mir ins Ohr, die Sache sei überaus schwierig geworden, denn heutzutage werde jenes Satyrion nur noch von den Bischöfen und ihren Freunden, den Rittern angebaut, die sich seiner bedienten, um ihre Macht zu vergrößern... An dieser Stelle machte ich seinem Gerede ein Ende, indem ich ihm sagte, mein Meister wolle heute Abend einige Bücher in seiner Zelle studieren und hätte dort gern noch etwas zu essen.
»No es problema«, erklärte Salvatore sofort. »Faccio ego. Faccio el Kaasschmarrn.«
»Kaasschmarrn? Wie geht das?«
»Facilis. Nimm einen Kaas, nich zu alt, nich zu weich, mach klein Stückl in quadri o sicut te piace. Dann stell auf Feuer ein Topf mit un poco de burro o vero de structo fresco à rechauffer sobre la brasia. Et dentro vamos, rein mit dem Kaas, und wenn dir scheint tenerum, un peu zucharum et canella supra positurum. Fertisch. E subito in tabula, parce que ça se mange caldo caldo!«
»Also gut, mach uns Kaasschmarrn«, sagte ich, woraufhin
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