Die historischen Romane
Protokolle der Weisen von Zion und die Anatomie der Verschwörungstheorie
Von PHILIPP BLOM
Die Kraft des Falschen 3059
Von UMBERTO ECO
Wahrhaftige Menschen 3081
Historische Personen, mit denen Simonini zu tun hat
Von BURKHART KROEBER
Der wahre Kern 3105
Zeittafel zur politischen Geschichte Italiens und Frankreichs in Simoninis Lebenszeit (1830–1998)
Von BURKHART KROEBER
Männer mit dunklen Mienen
Die Protokolle der Weisen von Zion und die Anatomie der Verschwörungstheorie
Von PHILIPP BLOM
Männer mit dunklen Mienen versammeln sich in einem anonymen Raum. Sie sind Eingeweihte, Magier, Jesuiten, Hexen, jüdische Bankiers, Freimaurer, Rabbiner, Scheichs, hohe Militärs, Großindustrielle, gesichtslose Topmanager, Hacker, Geheimagenten, die verborgenen Puppenspieler der Welt; hochintelligent, strikt exklusiv, verschlagen und skrupellos. Sie treffen sich in unterschiedlichen Rollen und Jahrhunderten, aber ihr Ziel ist immer dasselbe: die Weltherrschaft, die Unterwerfung der anderen, die Zerstörung des Guten. Nur unter großen Opfern können sie daran gehindert werden.
Etwas seltsam Tröstliches liegt in dieser bedrohlichen Vision, die nicht nur Bauplan für unzählige Hollywood-Produktionen ist, sondern von Verschwörungstheorien aller Art. Der geheime Feind ist zwar mächtig und mörderisch, seine bloße Existenz aber macht die Welt lesbar, gibt ihr die Transparenz zurück, die sie in unserem chaotischen Erleben immer wieder verlieren muss. Eine in unzählige, scharfkantige Tatsachen zersplitterte Realität kann wieder erzählt werden, mit fester Rollenverteilung.
Die ästhetisch spektakulärste und am besten durchdachte zeitgenössische Dramatisierung einer solchen Phantasie, der Film The Matrix (1999), zeigt eine Alltagswelt, die in Wahrheit eine gigantische Computersimulation ist. Im Krieg der Menschen gegen das von ihnen geschaffene Supersystem hat der Computer gesiegt und nutzt jetzt als Energiequelle ohnmächtig versklavte, in Glasbehälter eingesperrte Menschenleiber, deren Erleben virtuell vorgegaukelt wird, während die Lebenskraft ihrer Körper in einem Kraftwerk der Apokalypse das System antreibt. Neo, der Held des Films, wird zum Rebellen, der in der wüsten Dunkelheit der Welt außerhalb des Computerhirns versucht, die Menschheit von ihrer Hörigkeit zu befreien.
The Matrix ist der endzeitliche Alptraum des Internetzeitalters, in dem alle Erfahrung virtuell zu werden droht, in dem Individuen immer mehr zu Teilen eines Daten-Einspeisungssystems in ein allmächtiges Netzwerk zu werden scheinen, das längst seine eigenen Dynamiken generiert. Die Welt als Computerspiel, das ein Computer mit uns als Figuren spielt. Gleichzeitig ist sie Metapher einer globalen Wirtschaft, in der das Elend von zahllosen Arbeitssklaven in armen Ländern den konsumseligen Wohlstandstraum von wenigen im Westen möglich macht.
Nicht nur die Gegenwart spiegelt sich in Neos Kampf um Gerechtigkeit: Die virtuos verwobenen Motivstränge dieser postmodernen Vision führen vom Marxismus bis in die ältesten Mythen. Die sich selbst entfremdeten Körper, die willenlos mit einem technologischen System verkabelt sind, wecken Echos einer marxistischen Analyse einer industrialisierten Gesellschaft, in der Arbeiter an Maschinen gekettet werden, um ihren industriellen Fronherren Profite zu erwirtschaften. Von hier führen die thematischen Stränge weiter. Das gesichtslose System, im Film repräsentiert durch zwei maschinengleiche Killeragenten, steht für eine zweite Interpretation der industrialisierten Welt, die im späten neunzehnten Jahrhundert aufgekommen war: die Weltherrschaft eines verborgenen Systems, das in der nichtsahnenden Welt längst alle Fäden zieht. Vor hundert Jahren waren es die Kapitalisten oder die Freimaurer, die Journalisten und Industriebarone, waren es die Juden, denen antisemitische Autoren vorwarfen, die Macht heimlich an sich gerissen zu haben und Millionen von christlichen Europäern aus einem traditionellen Leben entwurzelt zu haben, um sie zu Maschinensklaven zu machen.
Die erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts emanzipierten Juden hatten tatsächlich rapide an sozialem, ökonomischem und intellektuellem Einfluss gewonnen, weil die Strukturen ihrer eigenen Kultur und ihre historische Erfahrung sie für den Erfolg in einer bildungsorientierten, internationaler werdenden Welt prädestinierten. Dieser assimilatorische Aufstieg wurde ihnen vorgeworfen, und als
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