Die historischen Romane
irgendwo da unten eine Bombe hochgehen.«
»Und wo, in London? Hier ist die Métro noch nicht soweit.«
»Aber die Ausschachtungen haben begonnen, es gibt schon Tunnelbohrungen längs der Seine, und ich verlange ja nicht, dass ganz Paris in die Luft fliegt. Mir genügt es, wenn zwei oder drei Stützbalken zusammenbrechen, besser noch, wenn es ein Stück vom Straßenbelag ist. Eine kleine Explosion, die aber wie eine Drohung und Bestätigung klingt.«
»Verstehe. Und was soll ich dabei tun?«
»Sie haben doch schon mit Sprengstoff gearbeitet und haben Experten an der Hand, wenn ich nicht irre. Betrachten Sie den Fall von der richtigen Seite. Meines Erachtens müsste das Ganze problemlos gehen, denn nachts werden diese ersten Tunnel noch nicht bewacht. Aber nehmen wir an, der Attentäter wird durch einen unglücklichen Zufall entdeckt. Wenn er ein Franzose ist, riskiert er ein paar Jahre Gefängnis, wenn er ein Russe ist, bricht ein französisch-russischer Krieg aus. Darum kann es keiner von meinen Leuten machen.«
Ich wollte schon protestieren, er könne mich nicht zu einer so unsinnigen Tat drängen, ich sei ein gesetzter älterer Herr. Aber dann überlegte ich mir: Woher kommt das Gefühl von Leere, das mich seit Wochen erfüllt, wenn nicht aus der Tatsache, dass ich kein Protagonist mehr bin?
Wenn ich diesen Auftrag annähme, wäre ich wieder an vorderster Front. Ich würde daran mitwirken, meinem Prager Friedhof Glaubwürdigkeit zu verschaffen, ihn wahrscheinlicher zu machen, also wahrer als er es jemals war. Noch einmal würde ich – ich allein – eine Rasse besiegen.
»Ich muss mit der richtigen Person reden«, antwortete ich. »In ein paar Tagen hören Sie von mir.«
* * *
So habe ich Gaviali wieder aufgesucht, er arbeitet noch als Lumpensammler, aber dank meiner Hilfe hat er jetzt saubere Papiere und ein bisschen Geld beiseite gelegt. Leider ist er in weniger als fünf Jahren schrecklich gealtert – die Teufelsinsel hinterlässt ihre Spuren. Seine Hände zittern, und er kann nur mit Mühe das Glas heben, das ich ihm großzügig mehrmals gefüllt habe. Er bewegt sich steif und kann sich kaum noch bücken, so dass ich mich frage, wie er die Lumpen aufsammelt.
Mein Vorschlag erfüllt ihn mit neuem Leben: »Es ist nicht mehr so wie früher, als man bestimmte Sprengstoffe nicht benutzen konnte, weil sie einem keine Zeit ließen, sich zu entfernen. Heute macht man alles mit einer guten Zeitbombe.«
»Wie funktioniert die?«
»Ganz einfach. Man nimmt einen gewöhnlichen Wecker und stellt ihn auf die gewünschte Zeit ein. Wenn es soweit ist, löst der Zeiger einen Mechanismus aus, und statt dass der Wecker läutet, aktiviert er, wenn er richtig verbunden ist, einen Zünder. Der Zünder aktiviert die Ladung und bumm. Wenn Sie schon zehn Meilen entfernt sind.«
Am nächsten Tag brachte er mir eine Apparatur, die in ihrer Einfachheit furchterregend aussah. Wie konnte dieses feine Gewirr von Drähten und diese dicke Geheimratszwiebel eine Explosion auslösen? Doch, doch, das hat schon funktioniert, sagte Gaviali stolz.
Zwei Tage später ging ich mir die laufenden Ausschachtungen mit der Miene eines Neugierigen ansehen, nicht ohne ein paar Fragen an die Arbeiter zu richten. Ich fand eine Stelle, wo man leicht von der Straße hinuntersteigen kann und zum Eingang eines von Balken gestützten Tunnels gelangt. Ich will nicht wissen, wohin dieser Tunnel führt und ob er überhaupt irgendwohin führt: Es würde genügen, die Bombe an den Eingang zu legen, und die Sache wäre erledigt.
Beim nächsten Treffen mit Gaviali sagte ich streng: »Größte Hochachtung vor Ihrem Wissen, aber Ihre Hände zittern und Ihre Beine versagen, Sie könnten da nicht hinuntersteigen, und wer weiß, was Sie mit den Drähten anrichten würden.«
Seine Augen wurden feucht. »Ich weiß, ich tauge zu nichts mehr.«
»Wer könnte die Arbeit für Sie machen?«
»Ich kenne hier niemanden mehr, vergessen Sie nicht, meine besten Genossen sind noch auf der Teufelsinsel, und Sie haben sie dorthin geschickt. Also übernehmen Sie nun auch die Verantwortung. Sie wollen eine Bombe hochgehen lassen? Dann legen Sie sie selber.«
»Unsinn, ich bin kein Experte.«
»Man braucht kein Experte zu sein, wenn man von einem Experten instruiert worden ist. Schauen Sie sich genau an, was ich hier auf diesem Tisch aufgebaut habe, es ist unverzichtbar, um eine gute Zeitbombe funktionieren zu lassen. Ein normaler Wecker wie dieser, man
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