Die historischen Romane
russischen Aristokraten und späteren Bolschewiken zum literarischen Alter Ego des Italieners Joseph Balsamo alias Graf Cagliostro, des berüchtigten Hochstaplers und Betrügers, der fast zwei Jahrhunderte zuvor gelebt hatte, von einer Friedhofsszene zum Freimaurertum, vom Ewigen Juden zur modernen Wirtschaft. Die Protokolle sind ein Konglomerat aller Verschwörungen, ein magisches Elixier aus dunklen Machenschaften, geheimer Macht, religiösen Motiven und legendären Gestalten.
Die Protokolle wurden schon bald als Fälschung und Plagiat entlarvt, aber ihre Anziehungskraft hat sich als magisch erwiesen. Schließlich ist der Wille zum Glauben oft mächtiger als die Fähigkeit, Tatsachen zu ertragen, und wer diesen Glauben sucht, der findet noch in der Entlarvung selbst den Beweis für die Unterdrückung der Wahrheit von Seiten der Mächtigen, des Establishments, der Elite.
Auch Lügen haben eine Geschichte, eine Ahnenreihe. Die Traditionen der Angst und der Verdächtigungen reichen weit über das neunzehnte Jahrhundert hinaus. Die Idee einer jüdischen Verschwörung ist so alt wie die Diaspora. Schon im alten Rom behaupteten Gerüchte, die Juden opferten Menschen auf ihren Altären. Im christlichen Europa wurden die Juden dann zu kaum geduldeten Feinden des Glaubens, denen Brunnenvergiftung und Ritualmorde vorgeworfen wurden. Als »verstockte« Religion, die den Heiland Christus nicht akzeptiert habe, wurde das Judentum von der Kirche verteufelt und seine Riten mit Misstrauen betrachtet.
Die Ritualmordlegende warf jüdischen Gemeinden vor, zum Pessach-Fest einen christlichen Knaben zu stehlen und sein Blut im ungesäuerten Brot zu verbacken. Die Motive dieser Anschuldigung waren begründet im magischen Denken: Juden wurden effektiv beschuldigt, durch die Ermordung eines Christenjungen in einer Art Voodoo-Ritual den Tod Jesu symbolisch nachzuvollziehen und so das Christentum schädigen zu wollen. Die Beschuldigungen von Brunnenvergiftungen übertrugen diesen magischen Verdacht in die alltägliche Welt, in der ein Tierkadaver im Trinkwasser oder ein Krankheitserreger ganze Bevölkerungen dezimieren konnten. Die Juden, die nicht dasselbe aßen wie ihre christlichen Nachbarn, wurden leicht Opfer von Anschuldigungen, die oft in Verfolgungen, Prozessen oder sogar in Mordorgien mündeten.
Fiktionen können gewaltige Wirkung erzeugen. Nach einer Welle von Pogromen, die durch den Fund eines toten Kindes in Norwich ausgelöst wurde, wurden mehr als dreißig Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern wurden aus England vertrieben, und erst 1655 wurde ihnen wieder erlaubt, sich dort anzusiedeln. Im Zarenreich trieb die Ritualmordlegende tiefe Wurzeln. Noch 1913 wurde ein jüdischer Buchhalter, Menachem Bejlis, in Kiew angeklagt, einen christlichen Knaben erstochen und dessen Blut für rituelle Zwecke missbraucht zu haben. Zehn Jahre zuvor waren wegen einer ähnlichen Anschuldigung in Kischinjow (heute Chisiau in Moldawien) 49 Menschen in einer Nacht ermordet und rund 700 Häuser geplündert worden.
Mit der Spaltung des westlichen Christentums in Katholizismus und Protestantismus erfuhr auch das christliche Misstrauen den Juden und Liberalen gegenüber eine Reihe von Modulationen. Die Reformation brachte eine neue Welle antisemitischer Propaganda-anfangs sehr judenfreundlich, war Luther schon bald enttäuscht, dass die Juden sich weigerten, seine Lehre als Wahrheit anzuerkennen und sich zu bekehren. Motivation und Anfangsenergie des Protestantismus lagen im Widerstand gegen den Ablasshandel, einer »Verschwörung« der Kirchenfürsten gegen die Gläubigen, und die Forderung danach, endlich persönlichen Zugang zu den Quellen, zum Text der Bibel und seiner Auslegung zu bekommen, war zentral. Nicht nur antisemitische Vorurteile erhielten einen neuen Impetus durch die Reformation; eine neue Form der Verschwörungstheorien kam in Mode. Der Protestantismus bot einen direkten Zugang zu Gottes Wahrheit und machte jede Art von Hierarchie, die sich zwischen den Gläubigen und die Wahrheit schob, verdächtig, zumal mit der Idee der direkten Beziehung zum Schöpfer auch die Furcht vor dem Strafgericht ins Zentrum der theologischen Debatten rückte. Die korrupte Kirche, die ihre Gläubigen in Unwissenheit hielt, riskierte ihr Seelenheil.
Der Verdacht, dass eine nebulöse Verschwörung von Fürsten und Priestern sich zum Ziel gesetzt hatte, ihre Untertanen ignorant zu halten, zu unterdrücken
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