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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Rezeption. An der geographischen Phantasterei hat sich ein politisches Projekt gestärkt. Mit anderen Worten, das von irgendeinem auf Fälschungen versessenen Kanzleischreiber erfundene Phantom hat als Alibi für die Expansion der christlichen Welt nach Asien und Afrika gedient, als freundliche Unterstützung der Bürde des weißen Mannes.
     
    Eine andere Erfindung, die reich an Folgen für die Geschichte war, ist die der Rosenkreuzer gewesen. Viele haben das Klima außerordentlicher spiritueller Erneuerung geschildert, das sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts bildete, als die Vorstellung vom Beginn eines Goldenen Zeitalters um sich griff. Dieses Klima einer hochgespannten Erwartung durchdrang in verschiedenen Formen (in einem Wechselspiel von gegenseitiger Beeinflussung) sowohl die katholische als auch die protestantische Welt: Projekte idealer Republiken wurden entwickelt, von Tommaso Campanellas Sonnenstaat bis zu Johann Valentin Andreaes Christianopel, es gab Bestrebungen nach einer universalen oder Weltmonarchie, nach einer allgemeinen Erneuerung der Sitten und des religiösen Empfindens, gerade während Europa vor und in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges unte nationalen Konflikten, religiösem Hass und brutaler Durchsetzung der Staatsräson litt.
    1614 erschien in Deutschland ein anonymes Manifest mit dem Titel Fama Fraternitatis, in dem die mysteriöse Bruderschaft der Rosenkreuzer ihre Existenz enthüllte und Informationen über ihre Geschichte sowie ihren mythischen Gründer gab, einen gewissen Christian Rosenkreutz, der im 15. Jahrhundert gelebt und im Orient geheime Offenbarungen von arabischen und jüdischen Weisen bekommen haben soll. Ein Jahr später erschien, zusammen mit der auf Deutsch geschriebenen Fama, ein zweites Manifest in lateinischer Sprache, betitelt Confessio fraternitatis Roseae Crucis, ad eruditos Europae. Im ersten Manifest wird der Wunsch ausgedrückt, dass auch in Europa eine Geheimgesellschaft entstehen möge, die Gold, Silber und Edelsteine im Überfluss besitzt und an die Könige verteilt, auf dass diese ihren Pflichten und legitimen Zielen nachkommen können: eine Gesellschaft, die den Herrschenden mit Ratschlägen zur Seite steht und sie lehrt, all das zu erlernen, was Gott den Menschen zu erkennen erlaubt hat.
    Zwischen alchimistischen Metaphern und mehr oder weniger messianischen Anrufungen beharren beide Manifeste auf dem geheimen Charakter der Bruderschaft und auf dem Umstand, dass ihre Mitglieder nichts über sich und ihr Wesen verraten dürfen (»Unser Gebäude, mögen auch hunderttausend Menschen es aus der Nähe gesehen haben, wird auf ewig unberührbar, unzerstörbar und der ruchlosen Welt verborgen bleiben«). Umso doppeldeutiger klingt daher der Aufruf am Ende der Fama an alle Gelehrten Europas, sich mit den Verteilern des Manifests in Verbindung zu setzen: »Obwohl weder wir noch unsere Versammlung bisher unsere Namen genannt haben, werden wir ohne weiteres die Meinung aller erfahren, in welcher Sprache sie auch ausgedrückt werde, und es soll keinem, der seinen Namen wird angeben, daraus ein Nachteil erwachsen, wenn er sich mit unsereinem entweder mündlich oder, falls ihm dies je bedenklich erscheinet, schriftlich austauscht.«
     
    Fast augenblicklich begann man überall in Europa an die Rosenkreuzer zu schreiben. Niemand behauptete, sie zu kennen, niemand bekannte, selbst einer zu sein, aber alle versuchten irgendwie zu verstehen zu geben, dass sie sich in absolutem Einklang mit dem Programm befänden. An die unauffindbaren Rosenkreuzer wandten sich Julius Sperber, Robert Fludd und Michael Maier, der Leibarzt Kaiser Rudolfs II., der in Themis aurea (1618) versichert, die Bruderschaft existiere wirklich, auch wenn er eine zu geringfügige Person sei, um jemals in sie aufgenommen zu werden. Doch wie Frances Yates bemerkt, gehörte es zum gewöhnlichen Verhalten rosenkreuzerischer Autoren zu behaupten, nicht nur sie selbst seien keine Rosenkreuzer, sondern sie seien auch noch niemals einem einzigen Mitglied der Bruderschaft begegnet.
    Jedenfalls verbrachten Johann Valentin Andreae und alle seine Freunde des Tübinger Kreises, die sofort verdächtigt wurden, die Autoren der Manifeste zu sein, ihr weiteres Leben damit, die Sache entweder zu leugnen oder sie als einen literarischen Scherz, eine Art Studentenulk abzutun. Im Übrigen gibt es nicht nur keine historischen Beweise für die Existenz der Rosenkreuzer, sondern es kann auch per definitionem gar keine geben.

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