Die historischen Romane
Ereignisse durch den Mythos der Konspiration erklären konnte? Wie Karl Popper in Erinnerung gerufen hat: »Die Konspirationstheorie der Gesellschaft … ähnelt Homers Theorie der Gesellschaft. Homer konzipierte die Macht der Götter so, dass alles, was in der Ebene von Troja geschah, nur einen Reflex der diversen Verschwörungen auf dem Olymp darstellte. Die Konspirationstheorie der Gesellschaft … kommt aus der Abkehr von Gott und aus der Frage: ›Wer ist an seine Stelle getreten?‹ An seine Stelle werden dann verschiedene mächtige Personen und Gruppen gesetzt – sinistre pressure groups, denen man vorwerfen kann, die große Depression geplant zu haben und alle Übel, unter denen wir leiden.«
Warum sollte man den Glauben an Konspiration und Komplott für absurd halten, wenn er noch heute dazu benutzt wird, das Scheitern des eigenen Handelns zu erklären oder die Tatsache, dass die Dinge sich anders entwickelt haben, als man es gewollt hatte?
Auch Fiktionen sind in erster Linie Erzählungen, wie immer auch falsche, und Erzählungen sind, wie die Mythen, stets überzeugend. Und von wie vielen anderen falschen Erzählungen könnte man sprechen … Zum Beispiel vom Mythos der Terra Australis, diesem immensen Kontinent, der sich über die ganze antarktische Polkappe und deren subtropische Zone erstrecken sollte. Der feste Glaube an die Existenz dieses Kontinents (bekräftigt durch zahllose Weltkarten, die den Globus im Süden von diesem breiten Erdgürtel bedeckt zeigten) hat Seefahrer mindestens dreier Jahrhunderte und diverser Länder zur Erkundung der südlichen Meere und sogar der Antarktis getrieben.
Was soll man von den Ideen des Eldorado und des Brunnens ewiger Jugend sagen, die unbedachte und couragierte Helden zur Erforschung beider Amerikas getrieben haben? Was von dem Anstoß, den die entstehende Chemie durch die Halluzinationen über das Phantasma des Steins der Weisen erhalten hat? Was von der Fiktion des Phlogistons oder von der des kosmischen Äthers?
Vergessen wir für einen Moment, dass einige dieser falschen Erzählungen positive Effekte, andere Schrecken und Schande erzeugt haben. Alle haben etwas bewirkt, im Guten wie im Bösen. Nichts ist unerklärlich an ihrem Erfolg. Problematisch ist eher die Antwort auf die Frage, wie es uns gelungen ist, sie durch andere Erzählungen zu ersetzen, die wir heute für wahr halten. In einem Essay über Fälschungen und Nachahmungen bin ich vor einigen Jahren zu dem Schluss gekommen, dass es zwar Mittel und Wege gibt, empirische wie solche der Mutmaßung, um zu prüfen, ob ein Objekt echt oder falsch ist, dass aber jede Entscheidung darüber den Glauben voraussetzt, dass es ein echtes und wahres Original gibt, mit dem man die Fälschung vergleichen kann. Das wahre Erkenntnisproblem liegt somit nicht in der Prüfung, ob etwas falsch ist, sondern im Nachweis, dass das als echt geltende Objekt auch tatsächlich echt ist.
Diese so selbstverständlich klingende Überlegung darf uns indessen nicht zu dem Schluss verleiten, es gebe kein Kriterium der Wahrheit und als falsch entlarvte Erzählungen seien gleichwertig mit solchen, die wir heute für wahr halten, da beide zur literarischen Gattung der narrativen Fiktion gehörten. Es gibt eine Praxis der Verifizierung, die sich auf die geduldige, kollektive und öffentliche Arbeit dessen gründet, was Charles Sanders Peirce die Community nannte. Und kraft des menschlichen Glaubens an diese Gemeinschaft können wir mit einer gewissen Ruhe sagen, dass die Donatio Constantini eine Fälschung war, dass die Erde sich um die Sonne dreht und Sankt Thomas zumindest wusste, dass sie rund ist.
Allenfalls muss die Erkenntnis, dass unsere Geschichte von viele Erzählungen bewegt worden ist, die wir heute als falsch erachten, uns wachsam machen und befähigen, unermüdlich gerade diejenigen Erzählungen in Frage zu stellen, die wir heute für wahr halten, denn das Kriterium der Weisheit einer Gemeinschaft beruht auf der ständigen Wachsamkeit gegenüber der Fehlbarkeit unseres Wissens.
Vor ein paar Jahren erschien in Frankreich ein Buch des Philosophen Jean-François Gautier mit dem Titel L’univers existet-il? Gibt es das Universum? Gute Frage. Was, wenn das Universum nur eine Einbildung wäre, so wie der kosmische Äther, das Phlogiston oder die Verschwörung der Weisen von Zion?
Gautiers Argumentation war philosophisch wohlfundiert. Die Idee des Universums, als Totalität des Kosmos, kommt aus den ältesten
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