Die historischen Romane
findet, diese ein langes Gespräch mit William und Ubertin führen und man allerhand Trauriges über Papst Johannes XXII. erfährt.
N ach diesen Erwägungen fasste mein Meister den Beschluss, vorerst gar nichts zu tun. Ich habe schon eingangs erwähnt, dass ihn zuweilen solche Momente totaler Untätigkeit überfielen, als wären die Gestirne auf ihrer himmlischen Kreisbahn plötzlich zum Stillstand gekommen und er mit ihnen. So auch an diesem Morgen. Er streckte sich auf seiner Strohmatte aus, starrte mit offenen Augen ins Leere, die Hände über der Brust gefaltet, und bewegte nur schwach seine Lippen, als rezitierte er ein Gebet, aber unregelmäßig und ohne Andacht.
Ich beschloss, seine Meditation zu respektieren, und trat in den Hof hinaus. Die Sonne hatte sich merklich verdunkelt, aus dem schönen und klaren Morgen war (inzwischen nahte bereits die Mittagsstunde) ein trüber, nasskalter Tag geworden. Große Wolken zogen im Norden auf und legten sich über den Gipfel des Berges, der zusehends hinter einem grauen Schleier verschwand. Es sah wie Nebel aus, und vielleicht stiegen auch wirklich Nebelschwaden aus der Tiefe empor, doch auf dieser Höhe war es schwer, die aufsteigende Feuchtigkeit von der herabsinkenden zu unterscheiden. Schon waren die weiter entfernten Gebäude kaum noch zu erkennen.
Unweit im Hof sah ich Severin, der gerade dabei war, mit munteren Gesten und fröhlichen Rufen die Schweinehirten und einige ihrer Tiere zu versammeln. Er sagte mir, dass sie ausrücken wollten, um an den Hängen des Berges und drunten im Tal nach Trüffeln zu suchen. Mir war diese köstliche Frucht des Waldbodens damals noch unbekannt, aber der Meister Botanikus sagte, dass sie, auf verschiedene Weise zubereitet, ein höchst wohlschmeckendes Gericht ergebe und geradezu eine Spezialität der benediktinischen Ländereien auf der Apenninhalbinsel sei, sowohl – als schwarze Trüffel – drunten in Norcia wie auch – heller und würziger – in jener Gegend. Auch erklärte mir Severin, dass sie überaus schwer zu finden sei, da sie unter der Erde wachse, besser verborgen als jeder andere Pilz, und nur die Schweine seien imstande, sie mit Hilfe ihres Geruchssinnes aufzuspüren. Allerdings wollten die Schweine dann, wenn sie fündig geworden, die Trüffel immer sofort verschlingen, weshalb man rasch eingreifen und sie wegdrängenmüsse. Später erfuhr ich, dass die Trüffeljagd in Italien ein Vergnügen ist, dem sich auch viele Herren von Adel gern verschreiben, wobei sie dann ihren Schweinen folgen, als wären es edle Jagdhunde, ihrerseits von Dienern mit Schaufeln und Körben gefolgt. Ich entsinne mich auch, wie einmal – es war ein paar Jahre nach den Ereignissen, die ich hier schildere – ein Edelmann aus meiner Heimat mich fragte, ob ich auf meinen Reisen durch Italien niemals adlige Herren beim Schweinehüten gesehen hätte. Er meinte natürlich die Trüffeljagd, und ich musste lachen. Als ich ihm daraufhin erklärte, dass diese Herren mit ihren Schweinen »tar-tufi« unter der Erde suchten und anschließend voller Genuss verspeisten, erbleichte der Gute und bekreuzigte sich erschrocken, denn er hatte »der Teifi« verstanden. Ich konnte das Missverständnis rasch klären, und wir mussten beide herzlich darüber lachen. Aber so groß ist eben die Magie der menschlichen Sprachen, dass sie aufgrund einer menschlichen Übereinkunft häufig sehr verschiedene Dinge mit ganz ähnlichen Lauten bezeichnen.
Severins Vorbereitungen hatten meine Neugier geweckt, und so beschloss ich, mit den Trüffeljägern hinunter ins Tal zu gehen – auch weil ich begriff, dass er dieses Unternehmen in Angriff nahm, um die traurigen Vorfälle in der Abtei zu vergessen, die uns alle bedrückten. Ich dachte mir, wenn ich ihm helfen würde, seine trüben Gedanken zu vergessen, könnte ich damit vielleicht auch die meinen, wenn nicht überwinden, so doch zumindest eine Zeitlang zurückdrängen. Auch will ich nicht verhehlen (da ich nun einmal beschlossen habe, die ganze Wahrheit zu sagen), dass mich insgeheim der Gedanke verlockte, ich könnte womöglich drunten im Tal einer gewissen Person begegnen, über die ich nicht weiter sprechen will. Mir selbst indes und gleichsam mit lauter Stimme versicherte ich – da wir schließlich an jenem Tage die Ankunft der beiden Legationen erwarteten – ich könnte womöglich drunten einer der beiden begegnen.
Während wir den steilen Kehrweg hinunterstiegen, wurde die Luft mit jedem Schritt klarer.
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