Die historischen Romane
bei einem Skorpion, die Augen glasig, die Haare blutrot und die Stimme wie das Zischen von Schlangen, begierig auf Menschenfleisch. Und es gibt Scheusale mit acht Zehen an jedem Fuß, mit Wolfsschnauzen, hakenförmigen Krallen, dem Pelz eines Schafes und dem Gebell eines Hundes, Bestien, die im Alter schwarz werden anstatt weiß und die uns Menschen weit überleben. Und es gibt Kreaturen mit Augen auf den Schultern und zwei Öffnungen in der Brust als Nasenlöcher, da sie keinen Kopf haben, und es gibt andere mehr, die an den Ufern des Flusses Ganges leben und sich allein vom Geruch eines bestimmten Obstes nähren, und sobald sie fortgehen, müssen sie sterben. All diese grausigen Monster aber singen in ihrer Vielfalt das Lob des Schöpfers und seiner Weisheit, ebenso wie der Hund, der Ochse, das Schaf und das Lamm oder auch der Luchs. Wahrlich, wie groß, sagte ich mir überwältigt mit den Worten des Vinzenz Belovacensis, wie groß ist noch die geringste Schönheit dieser Welt, und wie ergötzlich ist's für das Auge der Vernunft, zu betrachten nicht nur die Modi und Numeri und Ordines aller Dinge, so trefflich gesetzt und eingerichtet im ganzen Universum, sondern auch das Verstreichen der Zeiten, die sich unaufhörlich entrollen durch Sukzessionen und Niedergänge, gezeichnet vom Sterben alles Geborenen! Ja, ich gestehe es, als der Sünder, der ich bin: Meine eben noch in den Niederungen des Fleisches befangene Seele quoll über von einer spirituellen Rührung für den Schöpfer und die Regeln dieser Welt, und mit freudiger Andacht bewunderte ich die Größe und Stabilität der Schöpfung.
In dieser schönen Geistesverfassung fand mich mein Meister, als ich, dem Drang meiner Füße folgend, nach einem Rundgang durch fast: die gesamte Abtei an jenen Ort zurückkehrte, den ich vor zwei Stunden verlassen hatte. Dort nämlich stand William, und was er mir zu sagen hatte, riss mich brüsk aus meinem hehren Gedanken und brachte mich wieder zurück zu den dunklen Geheimnissen der Abtei.
William sah sehr zufrieden aus. In der Hand hielt er den Pergamentbogen des Venantius, den er endlich entziffert hatte. Wir gingen in seine Zelle, um vor Lauschern sicher zu sein, und er übersetzte mir, was er gelesen hatte. Der griechische Text nach dem Satz in Geheimschrift mit Tierkreiszeichen (» Secretum finis Africae manus supra idolum age primum et septimum de quatuor« ) besagte Folgendes:
Das entsetzliche Gift, das Reinigung bringt...
Die beste Waffe, um den Feind zu vernichten...
Mach dir die hässlichen und gemeinen niederen Leute zunutze, ziehe Vergnügen aus ihren Mängeln... Sie dürfen nicht sterben... Nicht in den Häusern der Adligen und der Mächtigen, sondern aus den Dörfern der Bauern, nach reichlichem Mahle und Trankopfern... Plumpe Leiber, entstellte Gesichter...
Sie schänden Jungfrauen und liegen arglos bei Huren, ohne Furcht.
Eine andere Wahrheit, ein anderes Bild der Wahrheit...
Die verehrungswürdigen Feigen.
Der schamlose Felsblock rollt über die Ebene... Vor die Augen.
Täuschen muss man und durch Täuschungen überraschen, das Gegenteil des Erwarteten sagen, eines sagen und damit etwas anderes meinen.
Für sie werden die Zikaden am Boden singen.
Das war alles. Nach meinem Dafürhalten etwas wenig, eigentlich nichts. Es klang wie das Gefasel eines Verrückten, und das sagte ich meinem Meister.
»Mag sein, und in meiner Übersetzung klingt es vielleicht noch verrückter. Ich habe nur eine ungefähre Kenntnis des Griechischen. Aber angenommen, dass Venantius verrückt war, oder dass der Autor des Buches verrückt war, so würde uns das nicht erklären, warum so viele Leute, die gewiss nicht alle verrückt waren, unbedingt jenes Buch verstecken beziehungsweise in die Hand bekommen wollten...«
»Meint Ihr denn, dass diese Worte aus dem geheimnisvollen Buch stammen?«
»Es sind zweifellos Worte, die Venantius geschrieben hat. Du siehst selbst, es handelt sich nicht um ein altes Pergament. Es müssen Notizen sein, die sich Venantius beim Lesen gemacht hat, sonst hätte er sie nicht auf griechisch geschrieben. Er hat gewiss Sätze und Satzfragmente notiert, die er in dem Buch aus dem Finis Africae fand. Er hat das Buch ins Skriptorium getragen und dort zu lesen begonnen, wobei er sich hier und da etwas notierte, was ihm bemerkenswert schien. Dann kam vermutlich etwas dazwischen. Entweder fühlte er sich plötzlich unwohl, oder er hörte jemanden kommen. So schob er das Buch mitsamt den
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