Die historischen Romane
wobei sichtlich jeder an einen anderen Fall dachte und jeder den, an welchen er dachte, übel fand.
Gut, fuhr mein Meister fort, wenn also ein Einzelner schlechte Gesetze machen kann, wäre dann eine Versammlung vieler nicht besser? Natürlich, hob er hervor, sei hier allein von den irdischen Gesetzen, die den gerechten Gang der Dinge auf Erden regeln sollen, die Rede. Gott hatte bekanntlich zu Adam gesagt, er dürfe nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen essen, und das war das himmlische Gesetz. Dann aber hatte Gott ihn ermächtigt, was sage ich: aufgefordert, den Dingen Namen zu geben, und in diesem Punkt ließ er seinem irdischen Untertanen freie Hand. Mögen einige heute auch sagen: nomina sunt consequentia rerum , so ist doch, betonte William, die Genesis in diesem Punkte sehr klar: Gott brachte dem Menschen die Dinge und Tiere, um zu sehen, wie er sie nenne, und wie der Mensch die lebendigen Tiere nannte, so sollten sie fortan heißen. Und mochte der erste Mensch auch so klug sein, die Dinge und Tiere in seiner paradiesischen Sprache jeweils so zu benennen, wie es ihrem Wesen entsprach, so ändert das nichts an der Tatsache, dass er beim Ersinnen der Namen, die seinem Urteil zufolge am besten zu ihrem jeweiligen Wesen passten, eine Art souveränes Recht ausübte. Denn wie man heute ja weiß, sind die Namen, mit denen die Menschen die Begriffe bezeichnen, in den verschiedenen Ländern sehr verschieden, und gleich für alle sind nur die Begriffe als Zeichen der Dinge. So dass wohl gewiss das Wort nomen von nomos kommt, das heißt von Gesetz; werden die nomina doch von den Menschen ersonnen ad placitum , also aufgrund freier und gemeinsamer Übereinkunft.
Keiner der Anwesenden wagte dieser gelehrten Beweisführung zu widersprechen. Woraus William schloss, mithin sei klar zu erkennen, dass die Bestimmung über die Angelegenheiten der irdischen Welt nichts zu tun habe mit der Bewahrung und Verwaltung des Verbum Dei, jenen unveräußerlichen Privilegien der kirchlichen Hierarchie. Bedauernswert die Ungläubigen, rief er aus, weil sie keine solche Autorität haben, die ihnen das Wort Gottes auslegt (und alle Anwesenden bedauerten die armen Ungläubigen). Aber können wir deshalb sagen, fuhr William fort, dass die Ungläubigen nicht dazu neigen, sich Gesetze zu machen und ihre Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten durch Regierungen, Könige, Kaiser oder auch Sultane und Kalifen, wie immer sie ihre Herrscher nennen mögen? Und können wir leugnen, dass auch zahlreiche Kaiser im alten Rom ihre weltliche Macht in Weisheit ausgeübt haben, man denke nur an Trajan? Und wer, fragte William die Anwesenden, wer gab den Heiden und gibt den Ungläubigen diese natürliche Fähigkeit, sich Gesetze zu schaffen und politische Gemeinwesen? Etwa ihre falschen Gottheiten, die zwangsläufig nicht existieren (oder die nicht zwangsläufig existieren, wie immer man die Negation ihrer Existenzweise ausdrücken will)? Gewiss nicht! Nur einer kann sie ihnen verliehen haben: der Gott der Heerscharen, der Gott Israels, der Vater Unseres Herrn Jesus Christus... Wunderbarer Beweis für die Güte des Herrn, der die Urteilsfähigkeit in politischen Fragen auch denen gegeben hat, die in ihrer Verblendung die Autorität des römischen Pontifex nicht anerkennen und nicht teilhaben an den süßen und schrecklichen Mysterien der Christenheit! Doch was könnte gleichzeitig besser als dies beweisen, dass die weltliche Herrschaft und die irdische Jurisdiktion nichts mit der Kirche und den Gesetzen Jesu Christi zu tun haben, sondern vielmehr von Gott gesetzt worden sind, außerhalb jeder kirchlichen Approbation und lange bevor überhaupt unsere heilige Religion entstanden ist?
Wieder hüstelte William, doch diesmal nicht er allein, denn viele der Anwesenden kratzten sich an den Köpfen und räusperten sich vernehmlich. Der Kardinal benetzte sich mit der Zunge die Lippen und forderte William mit einer höflichen, aber drängenden Geste auf, allmählich zum springenden Punkt zu kommen. Worauf nun der Redner in Angriff nahm, was mittlerweile allen Anwesenden, auch denen, die sie nicht teilten, die vielleicht unangenehmen Schlussfolgerungen seiner so unwiderleglichen Explikation zu sein schienen. Das heißt, er sagte, ihm scheine, dass seine Deduktionen gerade auch durch das Beispiel Christi bestärkt würden, denn Christus sei bekanntlich nicht in die Welt gekommen, um zu befehlen, sondern um sich unter die in der Welt vorgefundenen
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