Die historischen Romane
die Schriften davon gesprochen, noch aus dem Recht der Völker, kraft obengenannter Gründe. Was schließlich den Bezug zur Armutsfrage betreffe, sagte William zum Abschluss, so führten die dargelegten Ansichten, die in Form bescheidener Denkanstöße von ihm und einigen anderen wie Marsilius von Padua und Johannes Jandun entwickelt worden seien, zu folgenden Konklusionen: Wenn die Franziskaner arm bleiben wollten, so könne und dürfe der Papst sich einem so frommen Wunsch nicht widersetzen. Freilich, wäre die Hypothese der Armut Christi beweisbar, so würde sie nicht nur den Minoriten helfen, sondern auch den Gedanken bestärken, dass Jesus keinerlei irdische Jurisdiktion für sich haben wollte. Doch wie kluge Männer heute Morgen versicherten, sei die Armut Christi nicht beweisbar. Somit erscheine es vielleicht sinnvoller, die Beweisführung umzudrehen: Da niemand behauptet hat, noch hätte behaupten können, Jesus habe für sich oder seine Jünger eine weltliche Jurisdiktion beansprucht, könne man wohl in dieser Distanz Unseres Herrn zu den weltlichen Dingen ein hinreichendes Indiz für die Annahme sehen, dass Jesus im gleichen Maße der Armut zugetan war.
William hatte so ruhig gesprochen und seine Gewissheiten mit so vielen Ausdrücken des Vorbehalts und des Zweifels gespickt, dass niemand aufspringen konnte, um ihn zu widerlegen. Was freilich nicht heißt, dass alle von seinen Ausführungen überzeugt waren. Im Gegenteil, nicht nur die Avignoneser wirkten verstört und tuschelten aufgeregt miteinander, auch der Abt schien recht negativ von Williams Worten beeindruckt zu sein, er hatte sich wohl die Beziehungen zwischen seinem Orden und dem Reich ganz anders vorgestellt. Was die Minoriten betraf, so schauten Michael von Cesena verblüfft, der Bischof von Kaffa fassungslos und Ubertin recht nachdenklich drein...
Die Stille wurde schließlich vom Kardinal unterbrochen, der, wie immer lächelnd, leutselig fragte, ob William nach Avignon zu gehen und diese Ansichten auch dem Herrn Papst vorzutragen gedenke. William fragte zurück, was der Herr Kardinal ihm rate, woraufhin dieser meinte, der Heilige Vater habe zwar schon viele fragwürdige Ansichten in seinem Leben gehört und sei stets sehr liebevoll zu seinen Kindern, aber diese Ansichten würden ihn sicherlich sehr bekümmern.
Hier ließ Bernard Gui sich vernehmen, der bisher kein Wort gesagt hatte: »Ich wäre sehr froh, wenn Bruder William, der seine Gedanken so geschickt und eloquent darzulegen vermag, nach Avignon ginge, um sie dem Urteil des Heiligen Vaters zu unterbreiten...«
»Ich danke Euch, Herr Inquisitor, Ihr habt mich überzeugt«, sagte William zufrieden. »Ich werde nicht gehen.« Und zum Kardinal gewandt im Ton der Entschuldigung: »Diese Reizung, wisst Ihr, die mich da an der Brust überfallen hat, lässt es mir nicht geraten erscheinen, in dieser Jahreszeit eine so lange Reise anzutreten.«
»Warum habt Ihr dann so lange gesprochen?« wollte der Kardinal wissen.
»Um die Wahrheit zu bezeugen«, sagte William bescheiden. »Die Wahrheit macht uns frei.«
»Oh nein«, platzte in diesem Moment Jean de Baune los. »Hier handelt es sich nicht um die Wahrheit, die uns frei macht, sondern um die Freiheit, die sich wahrmachen will!«
»Auch das ist möglich«, gab William sanftmütig zu.
Ich hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass gleich ein neuer Sturm der Herzen und Zungen losbrechen würde, bedeutend heftiger noch als der erste. Doch nichts dergleichen geschah. Denn während Jean de Baune noch gesprochen hatte, war der Hauptmann der Bogenschützen in den Saal getreten und zu Bernard geeilt, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Nun erhob sich der Inquisitor und verlangte mit einer herrischen Handbewegung Gehör.
»Verehrte Brüder«, sagte er, »vielleicht kann diese interessante Diskussion ein andermal fortgesetzt werden. Jetzt zwingt uns leider ein schwerwiegendes Ereignis, unsere Arbeit abzubrechen, mit gütiger Erlaubnis des Abtes. Möglicherweise habe ich ungewollt die Erwartungen des Herrn Abtes erfüllt, hoffte er doch den Schuldigen der Verbrechen zu finden, die in den letzten Tagen hier verübt worden sind. Nun, ich habe ihn! Leider gelang es mir nicht, ihn rechtzeitig zu fassen, auch diesmal... Draußen ist etwas geschehen...« Er brach ab, durchquerte mit raschen Schritten den Saal und eilte hinaus, gefolgt von vielen, an der Spitze von William und mir.
Mein Meister sah mich düster an: »Ich fürchte, unserem Freund
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