Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
könnte. Wie soll ich seinen Tod untersuchen, wenn ich den Ort nicht sehen darf, an dem die Geschichte seines Todes möglicherweise begonnen hat?«
    »Verehrtester Bruder William«, sagte der Abt konziliant, »einem Manne, der meinen Rappen Brunellus beschreiben konnte, ohne ihn je gesehen zu haben, und der den Tod des Adelmus zu schildern vermochte, obwohl er so gut wie nichts darüber wusste – einem solchen Manne wird es kaum schwerfallen, in seine Gedanken Orte miteinzubeziehen, zu denen er keinen Zutritt hat.«
    »Wie Ihr wollt«, fügte sich William mit einer leichten Verbeugung. »Ihr seid weise, auch wenn Ihr streng seid.«
    »Wenn ich je weise sein sollte«, versetzte der Abt elegant, »so wäre ich es, weil ich streng zu sein vermag.«
    »Ein letztes noch«, wollte William wissen. »Wie steht es mit Ubertin?«
    »Er ist hier. Er erwartet Euch. Ihr findet ihn in der Kirche.«
    »Wann?«
    »Jederzeit«, lächelte der Abt. »Ihr müsst wissen, er ist, obgleich sehr gelehrt, kein Mann, der sich gern in Bibliotheken aufhält. Eine säkulare Verlockung hält ihn davon ab... Er verbringt seine Tage zumeist in der Kirche mit Meditation und Gebet.«
    »Ist er alt geworden?« fragte William zögernd.
    »Seit wann habt Ihr ihn nicht gesehen?«
    »Seit vielen Jahren.«
    »Er ist müde geworden. Er hat sich weit von den Dingen der Welt entfernt. Achtundsechzig Jahre ist er alt, aber ich glaube, sein Geist ist jung geblieben.«
    »Ich werde ihn unverzüglich aufsuchen. Ich danke Euch.« Der Abt lud ihn ein, mit den Mönchen das Mittagsmahl einzunehmen, aber William sagte, er habe erst vor Kurzem gegessen, und zwar sehr gut, und er wolle lieber gleich Ubertin aufsuchen. So erhob sich der Abt und wandte sich mit einem Gruß zur Tür.
    Als er die Zelle gerade verlassen wollte, erhob sich im Hof ein markerschütternder Schrei wie von einem tödlich getroffenen Menschen, gefolgt von weiteren, ebenso grässlichen Lauten. »Was ist das?« fragte William erschrocken. »Nichts«, erwiderte lächelnd der Abt. »In dieser Jahreszeit werden die Schweine geschlachtet. Die Metzger tun ihre Arbeit. Nicht dies ist das Blut, mit dem Ihr Euch zu beschäftigen braucht.«
    Sprach's und verließ uns – und schädigte mit diesen Worten seinen Ruf als Mann von kluger Voraussicht. Denn am nächsten Morgen... Aber zügele deine Ungeduld, meine geschwätzige Zunge! Denn auch an diesem Tage, und ehe die Nacht hereinbrach, sollte so mancherlei noch geschehen, wovon zu berichten ist.

 
     
    Erster Tag
SEXTA
    Worin Adson das Kirchenportal bewundert und William seinem alten Freund Ubertin von Casale wieder begegnet.
     
    D ie Kirche war nicht majestätisch wie andere, die ich später in Straßburg, in Chartres, in Bamberg oder auch in Paris sehen sollte. Sie glich eher denen, die ich bereits an verschiedenen Orten in Italien gesehen, Kirchen von gedrungener Bauart, die nicht unbedingt hoch hinaus wollten, nicht schwindelerregend gen Himmel stürmten, sondern fest auf der Erde standen, oft breiter als hoch; nur dass diese auf einer ersten Höhe überragt wurde, gleich einem Felsen, von einer Reihe quadratischer Zinnen, hinter welchen sich auf dieser ersten Höhe ein zweiter Bau erhob, weniger ein Turm als eine solide zweite Kirche, gekrönt von einem steilen Dach und die Mauern durchbrochen von schmalen, schmucklosen Fenstern. Eine robuste Abteikirche also, wie unsere Vorfahren sie zu bauen pflegten in der Provence und im Languedoc, fern den Kühnheiten und übertriebenen Schnörkeln des modernen Stils, und erst in neuerer Zeit, wie mir schien, hatte man sie über dem Chor mit einem kühn zum Himmelsgewölbe emporweisenden Dachreiter verziert.
    Der Eingang, flankiert von zwei schlanken und nüchternen Säulen, erschien von Weitem wie ein einziger großer Bogen; beim Näherkommen sah ich jedoch, dass hinter den Säulen zwei mächtige Gewände begannen, die, überwölbt von weiteren und vielfältigen Bögen, eine tiefe Vorhalle bildeten und den Blick wie ins Innere einer Höhle zum eigentlichen Portal leiteten, das im Halbdunkel erkennbar wurde. Beherrscht von einem mächtigen Tympanon, einem halbkreisförmigen Giebelfeld voller Figuren, das rechts und links auf zwei Torpfosten ruhte und in der Mitte auf einem behauenen Pfeiler, der den Eingang in zwei Öffnungen teilte, war es bewehrt mit Türflügeln aus metallbeschlagenem Eichenholz. Da die bleiche Novembersonne zu dieser Mittagsstunde fast senkrecht über dem Dach stand, fiel das Licht schräg

Weitere Kostenlose Bücher