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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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habe? Und selbst wenn es dir gelingt, was willst du dann tun? Früher oder später wird dich jemand finden, und wenn du meinst, du könntest die Deinen nehmen und in Sicherheit bringen – wohin willst du denn gehen?«
    »Ich habe Freunde in Selymbria«, sagte Niketas zögernd.
    »Ich weiß zwar nicht, wo das ist, aber um dort hinzugelangen, musst du erstmal aus der Stadt hinaus. Kyrios Niketas, du kannst für deine Familie nichts tun. Aber wo ich dich hinbringe, dort finden wir Freunde aus Genua, die in dieser Stadt das gute und schlechte Wetter machen. Sie sind gewohnt, mit den Sarazenen zu handeln, mit den Juden, den Mönchen, der kaiserlichen Wache, den persischen Kaufleuten und jetzt auch mit den lateinischen Pilgern. Es sind gewiefte Leute, du sagst ihnen, wo sich deine Familie befindet, und sie bringen sie dir morgen dahin, wo wir sein werden. Wie sie das anstellen, weiß ich nicht, aber sie werden es tun. Sie würden es in jedem Fall für mich tun, weil wir alte Freunde sind, und um der Liebe zu Gott willen, aber sie sind immerhin Genueser, und so kann es nichts schaden, wenn du ihnen ein kleines Geschenk machst. Dann bleiben wir dort, bis sich die Lage beruhigt hat, gewöhnlich dauert eine Plünderung nicht länger als ein paar Tage, du kannst mir glauben, ich habe schon viele gesehen. Und dann gehen wir nach Selymbria oder wohin immer du willst.«
    Niketas war überzeugt und bedankte sich. Und während sie weitergingen, fragte er Baudolino, warum er sich in der Stadt befand, wenn er doch kein Kreuzpilger war.
    »Ich bin angekommen, als die Lateiner bereits am anderen Ufer angelegt hatten, zusammen mit anderen, die ... die jetzt nicht mehr da sind. Wir sind von sehr weit her gekommen.«
    »Warum habt ihr die Stadt nicht verlassen, solange noch Zeit war?«
    Baudolino zögerte mit der Antwort. »Weil ... weil ich hierbleiben musste, um etwas zu begreifen.«
    »Und hast du es begriffen?«
    »Leider ja, aber erst heute.«
    »Eine andere Frage: Warum machst du dir so viel Mühe mit mir?«
    »Was soll ich denn sonst mit einem guten Christen machen? Aber im Grunde hast du schon recht. Ich hätte dich von diesen zwei Kerlen befreien und dann allein fliehen lassen können, aber ich habe mich an dich geheftet wie ein Blutegel. Schau, Kyrios Niketas, ich weiß, dass du ein Geschichtsschreiber bist, so einer, wie Bischof Otto von Freising einer war. Aber als ich Bischof Otto kannte und bei ihm war, bevor er starb, da war ich ein Knabe und hatte keine eigene Geschichte und wollte nur die der anderen erfahren. Jetzt hätte ich vielleicht eine, aber ich habe nicht nur alles verloren, was ich über meine Vergangenheit aufgeschrieben hatte, sondern ich bringe auch alles durcheinander, wenn ich mich zu erinnern versuche. Nicht, dass mir die einzelnen Fakten entfallen wären, aber ich bin nicht imstande, ihnen einen Sinn zu geben. Und nach dem, was mir heute widerfahren ist, muss ich unbedingt mit jemandem darüber sprechen, sonst werde ich verrückt.«
    »Was ist dir denn widerfahren?« fragte Niketas, während er mühsam durchs Wasser stapfte – er war zwar jünger als Baudolino, aber sein Leben als Gelehrter und Höfling hatte ihn korpulent und träge gemacht.
    »Ich habe einen Menschen getötet. Es war der, der vor fast fünfzehn Jahren meinen Adoptivvater ermordet hat, den besten aller Könige, den Kaiser Friedrich.«
    »Aber Friedrich ist doch in Kilikien ertrunken!«
    »Das glauben alle. Aber er ist ermordet worden. Kyrios Niketas, du hast mich heute Abend in der Hagia Sophia wütend mit dem Schwert dreinschlagen sehen, aber glaub mir, ich hatte in meinem ganzen Leben noch niemals Blut vergossen. Ich bin ein friedlicher Mensch. Diesmal jedoch musste ich töten, ich war der einzige, der hier für Gerechtigkeit sorgen konnte.«
    »Du wirst mir alles erzählen. Aber sag mir zuerst, wie es kam, dass du genau im rechten Augenblick, wie von der Vorsehung geschickt, in der Hagia Sophia erschienen bist, um mir das Leben zu retten.«
    »Während die Pilger anfingen, die Stadt zu plündern, war ich gerade dabei, einen finsteren Ort zu betreten. Als ich vor ungefähr einer Stunde wieder herauskam, war es schon dunkel, und ich befand mich in der Nähe des Hippodroms. Ich wurde fast überrannt von einer Schar Griechen, die schreiend vor etwas davonliefen. Ich konnte mich gerade noch in den Eingang eines halbverbrannten Hauses retten, und als sie vorbei waren, sah ich die Pilger, die sie verfolgten. Da begriff ich, was im Gange war,

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