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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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in einer Gegend, die übersät ist mit kleinen Ortschaften und ein paar bescheidenen Burgen, von reisenden Händlern hörte ich die Schönheiten der urbs Mediolani preisen, aber was eine richtige Stadt ist, wusste ich nicht, ich war noch nicht einmal bis Tortona gelangt, dessen Türme ich in der Ferne sah, und Asti oder Pavia wähnte ich an den Grenzen des Irdischen Paradieses. Aber als ich dann in die Welt hinauszog, wurden alle Städte, in die ich kam, entweder gerade zerstört oder waren schon verbrannt: Tortona, Spoleto, Crema, Mailand, Lodi, Ikonion und schließlich Pndapetzim. Und so wird es auch bei dieser hier sein. Bin ich vielleicht – wie würdet ihr Griechen sagen – ein Polioklast kraft bösen Blickes?«
    »Man soll sich nicht schlechter machen, als man ist.«
    »Du hast recht. Einmal wenigstens habe ich eine Stadt gerettet, nämlich meine Heimatstadt, und zwar mit einer Lüge. Du meinst, ein einziges Mal genügt, um den bösen Blick auszuschließen?«
    »Es bedeutet, dass es kein Schicksal gibt.«
    Baudolino schwieg einen Augenblick. Dann drehte er sich um und betrachtete das, was Konstantinopel gewesen war. »Trotzdem fühle ich mich schuldig. Die das da draußen angerichtet haben sind Venezianer und Leute aus Flandern und vor allem fränkische Ritter aus der Champagne, aus Blois, aus Troyes, Orléans und Soissons, um nicht von meinen Landsleuten aus dem Montferrat zu sprechen. Ich hätte es vorgezogen, dass die Türken diese Stadt zerstörten.«
    »Die Türken würden das niemals tun«, sagte Niketas. »Zu denen haben wir beste Beziehungen. Es waren die Christen, vor denen wir auf der Hut sein mussten. Aber vielleicht seid ihr ja die Hand Gottes, der euch geschickt hat, zur Strafe für unsere Sünden.«
    » Gesta Dei per Francos «, sagte Baudolino.

 
    4. Kapitel
    Baudolino spricht mit dem Kaiser
    und verliebt sich in die Kaiserin
     
    Am Nachmittag fing Baudolino wieder an zu erzählen, und Niketas beschloss, ihn nicht mehr zu unterbrechen. Er wollte ihn rasch heranwachsen sehen, um zum springenden Punkt zu gelangen. Er hatte noch nicht begriffen, dass Baudolino selbst den springenden Punkt noch nicht gefunden hatte und gerade deshalb erzählte, um ihn zu finden.
     
    Friedrich hatte Baudolino in die Obhut von Bischof Otto und dessen Sekretär Rahewin gegeben. Otto, ein Sprössling des großen Adelsgeschlechts der Babenberger, war als Bruder der Mutter ein Onkel des Kaisers, wenn auch nur knapp zehn Jahre älter als er. Ein Gelehrter von höchstem Rang, hatte er zuerst in Paris bei dem großen Abaelard studiert und sich dann für den Orden der Zisterzienser entschieden, und er war noch jung an Jahren gewesen, als ihm die Würde des Bischofs von Freising verliehen wurde. Nicht dass er dieser noblen Stadt viel Zeit und Kraft gewidmet hätte – erklärte Baudolino seinem Zuhörer –, in der abendländischen Christenheit wurden die Söhne von Adelsfamilien oft zu Bischöfen dieses oder jenes Ortes ernannt, ohne sich wirklich dorthin verfügen zu müssen. Es genügte, die Einkünfte zu kassieren.
    Otto war noch nicht fünfzig, wirkte aber fast doppelt so alt. Immer ein bisschen hüstelnd, geplagt von täglich wechselnden Zipperlein, mal Hüft-, mal Rückenschmerzen, dazu ein Blasensteinleiden, auch etwas triefäugig wegen des vielen Lesens und Schreibens, dem er sowohl im Licht der Sonne wie auch in dem einer Lampe oblag. Überaus reizbar, wie es bei Gichtkranken häufig vorkommt, hatte er bei seinem ersten Gespräch mit Baudolino fast knurrend gesagt: »Du hast dir die Gunst des Kaisers mit allerlei Lügenmärchen erkauft, nicht wahr?«
    »Nein, bestimmt nicht, Meister, ich schwöre es«, hatte Baudolino protestiert. Und darauf Otto: »Ein Lügner, der etwas verneint, bejaht es. Komm mit, ich werde dir alles beibringen, was ich weiß.«
    Woran man sieht, dass Herr Otto im Grunde ein herzensguter Mann war, der Baudolino gleich mochte, weil er in ihm einen hellen Jungen mit rascher Auffassungsgabe erkannte. Aber er hatte auch gleich bemerkt, dass Baudolino nicht nur lautstark verkündete, was er gelernt, sondern auch, was er sich bloß ausgedacht hatte. »Baudolino«, sagte er zu ihm, »du bist ein geborener Lügner.«
    »Warum sagt Ihr so etwas, Meister?«
    »Weil es wahr ist. Aber glaub nicht, dass ich dir deshalb einen Vorwurf mache. Willst du ein Mann der Schrift werden und womöglich eines Tages auch Historien schreiben, so musst du auch lügen und Geschichten erfinden können, sonst wird deine

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