Die historischen Romane
aber nicht, dass jeder beliebige sich selbst adeln kann! Begreifen denn diese Städter nicht, dass, wenn die Welt kopfsteht, auch sie ihrem Untergang entgegengehen?«
»Offenbar nicht, lieber Neffe«, sagte Otto. »Diese Städte mit ihrer Art, sich selbst zu regieren, sind mittlerweile der Ort, an dem sich aller Reichtum konzentriert, die Händler kommen von überallher zusammen, und die Mauern sind schöner und solider als die Mauern vieler Burgen.«
»Auf wessen Seite stehst du, Onkel?« schnaubte der Kaiser.
»Auf deiner, mein kaiserlicher Neffe, aber gerade deshalb ist es meine Pflicht, dir verstehen zu helfen, worin die Stärke deiner Gegner liegt. Wenn du darauf beharrst, von diesen Städten zu verlangen, was sie dir nicht geben wollen, wirst du den Rest deines Lebens damit verbringen, sie zu belagern, sie zu besiegen und sie nach wenigen Monaten glänzender als zuvor wiederauferstehen zu sehen, so dass du von neuem über die Alpen ziehen musst, um sie erneut zu unterwerfen, während deine kaiserliche Bestimmung ganz woanders liegt.«
»Und wo sollte meine kaiserliche Bestimmung liegen?«
»Friedrich, ich habe in meiner Chronica geschrieben – die durch ein unerklärliches Missgeschick verloren gegangen ist, ich werde sie wohl neu schreiben müssen, Gott strafe den pflichtvergessenen Rahewin, der ist sicher verantwortlich für den Verlust! –, ich habe geschrieben, dass vor geraumer Zeit, als Eugen III. auf dem Stuhl Petri saß, der syrische Bischof Hugo von Gabala, der mit einer armenischen Gesandtschaft zu Besuch beim Papst war, ihm erzählte, es gebe im äußersten fernen Osten, in der Nähe des Irdischen Paradieses, das Reich eines Priesterkönigs, des sogenannten Presbyters Johannes, der sicher ein christlicher König sei, wenn auch ein Anhänger der nestorianischen Häresie, und dessen Vorfahren jene Magier aus dem Morgenlande gewesen seien, Priesterkönige auch sie, aber Inhaber einer uralten Weisheit, die das Jesuskind in der Krippe besucht hatten.«
»Und was habe ich, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, mit diesem Priester Johannes zu tun, den der Herr noch lange als Priesterkönig bewahren möge in seinem Maurenreich, wo immer das liegen mag?«
»Siehst du, mein illustrer Neffe, der du ›Mauren‹ sagst und dabei genauso denkst wie die anderen christlichen Könige, die sich in der Verteidigung Jerusalems verausgaben – eine überaus fromme Unternehmung, kein Zweifel, aber überlass sie dem König von Frankreich, nachdem jetzt ohnehin die Franken in Jerusalem das große Wort führen. Die Bestimmung der Christenheit und eines jeden Reiches, das sich als heilig und römisch versteht, liegt jenseits der Mauren. Es gibt ein christliches Reich im Osten von Jerusalem und dem Lande der Ungläubigen. Und der Kaiser, dem es gelänge, die beiden Reiche zu vereinigen, würde dadurch das Reich der Ungläubigen und selbst das von Byzanz auf zwei einsame Inseln reduzieren, die verloren im großen Meer seines Ruhmes lägen!«
»Phantasien, lieber Onkel. Bleiben wir mit den Beinen auf dem Boden, wenn's recht ist. Und kehren wir noch einmal zu diesen italienischen Städten zurück. Erkläre mir, liebster Onkel, warum einige von ihnen, wenn ihre Lebenslage doch so begehrenswert ist, sich mit mir gegen die anderen verbünden und nicht alle gemeinsam gegen mich antreten.«
»Jedenfalls bisher noch nicht«, warf Rainald vorsichtig ein.
»Ich wiederhole«, erklärte Otto, »sie wollen ihre Untertanenbeziehung zum Reich nicht verleugnen. Und deshalb bitten sie dich um Hilfe, wenn eine andere Stadt sie unterdrückt, wie es Mailand mit Lodi tut.«
»Aber wenn ihre Lebenslage als Stadt so ideal ist, warum versucht dann jede unentwegt, ihre Nachbarstadt zu unterdrücken, als wollte sie deren Territorium schlucken und sich in ein Reich verwandeln?«
Hier meldete sich Baudolino mit seinem Wissen als Landeskind zu Wort. »Lieber Vater, die Sache ist die, dass dort unten jenseits der Alpen nicht nur die Städte, sondern auch die Dörfer größtes Vergnügen dran haben, sich gegenseitig eins auf die Rübe zu ... aua!« (Herr Otto erzog auch mit Kniffen und Püffen) »ich meine, sich gegenseitig zu demütigen. So ist das bei uns. Man kann den Fremden hassen, aber am meisten hasst man den Nachbarn. Und wenn der Fremde einem hilft, dem Nachbarn eins auszuwischen, dann ist er willkommen.«
»Und warum ist das so?«
»Weil die Leute schlecht sind, aber wie mein Vater immer sagte, die in Asti sind noch schlechter
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