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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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er seit über zehn Jahren geschrieben hatte, nicht mehr finden konnte, und er beschuldigte den armen Rahewin, sie auf einer Reise verloren zu haben. Zwei Jahre später entschloss er sich, sie neu zu schreiben, und ich war sein Schreiber, aber ich habe nie gewagt, ihm zu gestehen, dass ich die erste Fassung seiner Chronica abgekratzt hatte. Wie du siehst, gibt es eine Gerechtigkeit, denn auch ich habe nun meine Chronik verloren, nur habe ich nicht den Mut, sie neu zu schreiben. Ich weiß allerdings, dass Otto beim Neuschreiben etwas geändert hat ...«
    »Inwiefern?«
    »Wenn man Ottos Chronica liest, die eine Geschichte der Welt ist, dann sieht man, dass er von uns Menschen keine gute Meinung hatte. Die Welt hatte möglicherweise gut angefangen, aber dann ist es immer schlechter mit ihr gegangen, mit einem Wort: mundus senescit , die Welt vergreist, wir nähern uns dem Ende ... Doch gerade in dem Jahr, in dem Otto seine Chronica neu zu schreiben begann, hatte ihn der Kaiser gebeten, auch seine Taten zu verherrlichen, und Otto hatte sich darangemacht, die Gesta Friderici zu schreiben, die er dann nicht mehr beenden konnte, weil er nur wenig später als ein Jahr darauf gestorben ist, so dass Rahewin sie fortsetzen musste. Nun kann man jedoch die großen Taten seines Kaisers nicht gebührend beschreiben, wenn man nicht überzeugt ist, dass mit seiner Thronbesteigung ein neues Zeitalter beginnt, dass es sich also, mit einem Wort, um eine Freudengeschichte handelt, eine historia iucunda ...«
    »Man kann die Geschichte der eigenen Herrscher schreiben, ohne auf Strenge zu verzichten, indem man erklärt, wie und warum sie ihrem Untergang entgegengehen ...«
    »Mag sein, dass du so vorgehst, Kyrios Niketas, der gute Otto von Freising tat es jedenfalls nicht, ich berichte nur, wie die Dinge gelaufen sind. Dieser fromme Mann schrieb also einerseits seine Chronica neu, in der die Welt schlechter und schlechter wird, und andererseits die Gesta Friderici , worin die Welt nicht anders konnte, als immer besser zu werden. Du wirst sagen: Er widersprach sich. Wenn es nur das wäre! Ich habe den Verdacht, dass in der ersten Fassung seiner Chronica die Welt noch viel schlechter war und dass Otto, um sich nicht allzu sehr zu widersprechen, beim Neuschreiben seiner Chronica immer nachsichtiger mit uns armen Menschen wurde. Und das habe ich provoziert, weil ich die erste Fassung abgeschabt hatte. Wer weiß, wenn sie erhalten geblieben wäre, hätte Otto vielleicht nicht den Mut gehabt, die Gesta zu schreiben, und da diese Gesta es sind, aufgrund deren man künftig sagen wird, was Friedrich alles getan und nicht getan hat, könnte es sein, dass letztlich, wenn ich die erste Chronica nicht abgeschabt hätte, Friedrich am Ende gar nicht all das getan hat, was wir als seine Taten rühmen.«
    Mein lieber Baudolino, dachte Niketas bei sich, du bist wie der kretische Lügner: Du sagst mir, du seist ein durchtriebener Lügner und willst, dass ich dir glaube. Du willst mir einreden, dass du aller Welt Lügenmärchen erzählt hast, nur mir nicht. In all den Jahren am Hof dieser Herrscher habe ich gelernt, den Fallstricken noch raffinierterer Meisterlügner, als du einer bist, zu entgehen ... Du selbst hast eingestanden, dass du nicht mehr recht weißt, wer du bist, und vielleicht liegt das gerade daran, dass du so viele Lügen erzählt hast, sogar dir selbst. Und nun verlangst du von mir, dass ich dir die Geschichte zusammenreime, die du selbst nicht zu fassen bekommst. Aber ich bin kein Lügner deines Schlages. Mein Leben lang habe ich die Erzählungen anderer befragt, um aus ihnen die Wahrheit ans Licht zu fördern. Vielleicht erwartest du von mir eine Geschichte, die dich davon freisprechen soll, dass du jemanden getötet hast, um den Tod deines Friedrich zu rächen. Du konstruierst dir Schritt für Schritt diese Liebesgeschichte mit deinem Kaiser, damit es dann ganz natürlich erscheint, wenn du uns erklärst, dass du die Pflicht hattest, ihn zu rächen. Immer vorausgesetzt, dass er wirklich ermordet worden ist, und zwar von dem, den du getötet hast ...
    Nach diesen Gedanken blickte Niketas zum Fenster hinaus. »Das Feuer erreicht die Akropolis«, sagte er.
    »Ich bringe der Stadt Unglück.«
    »Du hältst dich wohl für allmächtig. Das ist eine Sünde des Hochmuts.«
    »Nein, eher ein Akt der Selbstkasteiung. Mein ganzes Leben lang ist es mir so ergangen: Kaum hatte ich mich einer Stadt genähert, schon wurde sie zerstört. Ich bin geboren

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