Die historischen Romane
haben sich an den Sack gefasst.«
Ein Diener brachte Niketas eine Schatulle, Niketas zog sich in eine Ecke des Raumes zurück, um sie zu öffnen, kam mit ein paar goldenen Münzen zurück und gab sie den Hausherren, die sich überschwänglich bedankten und ihm versicherten, dass er bis zu seiner Abreise nach Belieben über das Haus verfügen könne. Die vielköpfige Familie wurde auf die benachbarten Häuser verteilt, zwischen schmutzige enge Gassen, in die sich kein Lateiner auf der Suche nach Beute hineingetraut hätte.
Soweit befriedigt, hatte Niketas den Genueser Pevere gerufen, der das höchste Ansehen unter seinen Gastgebern zu genießen schien, und ihm erklärt, dass er, wenn er längere Zeit bei ihnen versteckt bleiben müsse, deswegen nicht auf seine gewohnten Freuden verzichten wolle. Die Stadt brenne zwar, aber im Hafen kämen weiterhin Schiffe an, desgleichen die Boote der Fischer, die ja andernfalls draußen im Goldenen Horn bleiben müssten, ohne ihre Ware entladen zu können. Wenn man Geld habe, könne man die notwendigen Dinge zu einem günstigen Preis bekommen. Was eine annehmbare Küche betreffe, so gebe es unter den soeben Geretteten seinen Vetter Theophilos, der ein ausgezeichneter Koch sei, man brauche sich bloß von ihm sagen zu lassen, welche Zutaten er benötige ... So konnte Niketas am Mittag seinem Gast ein Mahl nach Logothetenbrauch vorsetzen. Es war ein gemästetes Zicklein, gefüllt mit Knoblauch, Zwiebeln und Porree und bestrichen mit einer würzigen Fischtunke.
»Vor mehr als zweihundert Jahren«, sagte Niketas, »kam hierher nach Konstantinopel, als Gesandter eures Königs Otto, ein Bischof eurer Kirche namens Liutprand, den Basileus Nikephoros zu einem Gastmahl einlud. Es war keine schöne Begegnung, und später erfuhren wir, dass Liutprand einen Bericht über seine Reise verfasst hatte, in dem er uns hiesige Römer als schmutzige, grobe, unkultivierte und schlechtgekleidete Leute beschrieb. Er konnte auch unseren geharzten Wein nicht ertragen, und ihm schienen alle unsere Speisen in Öl zu ertrinken. Aber von einem Gericht sprach er mit Begeisterung, und das war dieses.«
Baudolino ließ sich das Zicklein schmecken und fuhr fort, auf Niketas' Fragen zu antworten.
»Also, während du unter Soldaten lebtest, hast du schreiben gelernt. Aber lesen konntest du schon?«
»Ja, aber schreiben ist anstrengender. Zumal in Latein. Denn du musst wissen, wenn der Kaiser Soldaten in ein anderes Land schicken wollte, dann sagte er es auf Alemannisch, aber wenn er an den Papst oder an seinen Vetter Jasomirgott schrieb, dann musste es auf Lateinisch sein, desgleichen alle Dokumente seiner Kanzlei. Ich hatte anfangs große Mühe, die Buchstaben auf die Tafel zu malen, ich schrieb Wörter und Sätze ab, deren Bedeutung ich nicht verstand, aber schließlich, am Ende des Jahres, konnte ich leidlich schreiben. Allerdings hatte Rahewin noch keine Zeit gehabt, mir die Grammatik beizubringen. Ich konnte abschreiben, aber nicht aus eigener Kraft formulieren. Deswegen schrieb ich in der Sprache meiner heimischen Frascheta. Aber war das wirklich die Sprache der Frascheta? Ich vermischte sie mit Erinnerungen an andere Idiome, die ich ringsum gehört hatte – bei den Leuten in Asti, Pavia, Mailand und Genua, das heißt bei Leuten, die so verschieden sprachen, dass sie sich untereinander oft nicht verstanden. Später haben wir in unserer Gegend eine Stadt gebaut, mit Leuten, die von hier und da kamen, die sich zusammenfanden, um einen Turm zu bauen, und dabei haben sie alle in gleicher Weise gesprochen. Ich glaube, es war ein bisschen die Methode, die ich erfunden hatte.«
»Du warst so etwas wie ein Nomothet«, sagte Niketas.
»Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, aber vielleicht ist es so gewesen. Jedenfalls schrieb ich die nächsten Bögen schon in einem passablen Latein. Ich war inzwischen in Regensburg, in einem ruhigen Kloster, unter der Obhut des Bischofs Otto, und in jener Zeit des Friedens gingen Bögen um Bögen durch meine Hände ... Ich lernte. Du wirst bemerkt haben, dass dieses Pergament schlecht abgeschabt worden ist, man sieht noch Teile von dem, was darunter gestanden hatte. Ich war wirklich ein Schuft, ich bestahl meinen Lehrer: Zwei Nächte lang schabte und kratzte ich ab, was ich für alte Schriften hielt, um Platz zum Schreiben zu haben. In den Tagen darauf war Bischof Otto ganz verzweifelt, weil er die erste Fassung seiner Chronica sive Historia de duabus civitatibus , an der
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