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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nun der Papst eben diese Behauptung als ketzerisch. Ein erstaunliches Urteil an und für sich, ist es doch nicht ersichtlich, warum ein Papst die Ansicht für verkehrt halten sollte, dass Christus arm gewesen sei. Doch genau ein Jahr vor dem Urteilsspruch hatte zu Perugia das Generalkapitel der Franziskaner getagt und eben diese Ansicht vertreten; indem der Papst also die einen verurteilte, verurteilte er zugleich auch die anderen. Denn wie ich bereits gesagt habe, die Haltung der Franziskaner störte den Papst beträchtlich in seinem Kampf gegen den Kaiser, und das war der Grund. So mussten denn in den folgenden Jahren zahlreiche schlichte Brüder, die weder vom Kaiser noch von Perugia viel wussten, elendiglich in den Flammen sterben.
     
    All diese Dinge gingen mir durch den Kopf, während ich mich der Betrachtung eines so legendären Mannes wie Ubertin hingab. Mein guter Meister hatte mich ihm vorgestellt, und der Greis hatte mir die Wange gestreichelt mit einer warmen, ja geradezu heißen Hand. Und bei der Berührung durch diese Hand hatte ich plötzlich vieles von dem verstanden, was ich gehört über diesen heiligen Mann und was ich gelesen in seinem Arbor Vitae ; ich verstand nun auf einmal, welches mystische Feuer ihn verzehrt hatte seit seiner Jugend, als er, obwohl Student in Paris, sich von den theologischen Spekulationen abgewandt hatte und sich einbildete, er sei in Büßerin Magdalena verwandelt; ich verstand seine intensiven Beziehungen zu der heiligen Angela von Foligno, die ihn eingeführt hatte in die Schätze der Mystik und in die Anbetung des Kreuzes; und ich verstand nun auch, warum seine Oberen ihn eines Tages, besorgt über den glühenden Eifer seiner Predigt, in die Bergeinsamkeit des apenninischen Klosters La Verna geschickt hatten.
    Ich betrachtete seine Züge, die mir sanft erschienen wie die der Heiligen, mit der er so intensiven brüderlichen Verkehr und innigen spirituellen Austausch gepflogen. Wieviel härter mussten diese Züge damals im Jahre 1311 gewesen sein, als er sich dem fein gesponnenen Kompromiss des Konzils zu Vienne widersetzte! Das Konzil hatte nämlich mit seinem Dekretale Exivi de paradiso einerseits jene franziskanischen Oberen entmachtet, die den Spiritualen feindlich gesonnen waren, andererseits aber diesen auferlegt, fürderhin friedlich im Schoße des Ordens zu leben. Ubertin jedoch, dieser unbeugsame Verfechter eines asketischen Lebens, hatte den Kompromiss abgelehnt und sich für die Gründung eines unabhängigen, streng zur Armut verpflichteten Ordens eingesetzt. Am Ende hatte der große Kämpfer seinen Kampf freilich doch verloren, denn in den folgenden Jahren führte Johannes XXII. seinen Kreuzzug gegen die Anhänger des schon genannten Petrus Johannis Olivi (zu denen auch Ubertin gerechnet wurde) und verurteilte die Brüder und Schwestern von Narbonne und Béziers als Ketzer. Dennoch hatte Ubertin nicht gezögert, das Andenken des Freundes gegenüber dem Papst zu verteidigen, und dieser, überwältigt von der Heiligkeit des großen Asketen, hatte es nicht gewagt, auch ihn zu verurteilen (obwohl er die anderen alle verurteilte). Ja, er hatte ihm sogar ein Leben in Ruhe und Sicherheit angeboten, indem er ihm zuerst riet und dann befahl, dem Orden der Cluniazenser beizutreten. Ubertin, der offenbar großes Geschick besaß (so zart und zerbrechlich er wirkte), sich Protektion und Verbündete am päpstlichen Hof zu verschaffen, hatte sich daraufhin zwar bereit erklärt, in das flandrische Kloster Gemblach zu gehen, ist dann aber, soweit ich weiß, niemals dorthin gegangen, sondern in Avignon geblieben, um unter der schützenden Hand des Kardinals Orsini die Sache der Franziskaner zu verteidigen.
    Erst in letzter Zeit (ich hatte darüber nur vage Gerüchte gehört) hatte sein Glück bei Hofe sich gewendet, jedenfalls musste er Avignon verlassen, und seither ließ der Papst diesen unbeugsamen Mann verfolgen als Ketzer qui per mundum d iscurrit vagabundus. Er galt als spurlos verschwunden... Heute Morgen hatte ich aus dem Gespräch zwischen William und dem Abt erfahren, dass er sich hier in dieser Abtei aufhielt. Und nun stand er vor mir!
    »Denk nur, William«, sagte er gerade, »sie waren bereits so weit, dass sie mich umbringen wollten. Ich musste bei Nacht und Nebel fliehen!«
    »Wer wollte deinen Tod? Johannes?«
    »Nein. Johannes hat mich zwar nie gemocht, aber stets respektiert. Er war es im Grunde auch, der damals vor zehn Jahren verhindert hatte, dass es zum

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