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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Junge war intelligent, schon nach wenigen Monaten in Paris sprach er sowohl Latein als auch die lokale Volkssprache, er wohnte bei einem Onkel, der Kanonikus in der Abtei von Sankt Viktor war, einer der Pilgerstätten des Wissens in jener Stadt (und vielleicht in der ganzen christlichen Welt), mit einer Bibliothek, die reicher war als die von Alexandria. Und so erklärt sich, dass in den folgenden Monaten, durch Abduls Vermittlung, auch Baudolino und der Poet Zugang zu jenem Hort der universalen Gelehrtheit bekamen.
    Baudolino fragte Abdul, was er sich während der Vorlesung notiert hatte, und sein neuer Freund sagte, in arabischer Sprache habe er sich gewisse Dinge notiert, die der Magister zur Dialektik geäußert habe, denn das Arabische sei zweifellos die am besten geeignete Sprache für Philosophie. Die anderen Notizen seien provenzalisch gewesen. Er wollte zuerst nicht darüber sprechen und sträubte sich eine Weile, aber im Ton und mit der Miene dessen, der weiter gebeten werden will, und schließlich übersetzte er einige Zeilen. Es waren Verse, und sie lauteten ungefähr: O meine Liebe in fernem Land, / deinetwegen leidet mein Herz, / und ich finde keine Arznei, / es sei denn, ich folge deinem Ruf ...
    »Schreibst du Gedichte?« fragte Baudolino.
    »Ich singe Lieder. Ich singe, was ich empfinde. Ich liebe eine ferne Prinzessin.«
    »Eine Prinzessin? Wer ist sie?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe sie gesehen – oder vielmehr, nicht wirklich, aber es ist, als hätte ich sie gesehen –, während ich im Heiligen Land einer Prüfung ... äh, also, während ich ein Abenteuer erlebte, von dem ich dir noch nicht erzählt habe. Mein Herz war sofort entflammt, und ich schwor ihr ewige Liebe. Ich beschloss, ihr mein Leben zu weihen. Vielleicht werde ich ihr eines Tages begegnen, aber ich habe Angst davor, dass es wirklich geschieht. Es ist so schön, sich nach einer unmöglichen Liebe zu verzehren.«
    Baudolino wollte schon »Bravo, Schlauberger« sagen, wie sein Vater Gagliaudo immer sagte, aber da fiel ihm ein, dass auch er sich nach einer unmöglichen Liebe verzehrte (obwohl er Beatrix ohne Zweifel gesehen hatte und ihr Bild ihn in schlaflosen Nächten verfolgte), und das Schicksal des armen Abdul dauerte ihn.
    So begann eine schöne Freundschaft. Noch am selben Abend erschien Abdul im Zimmer Baudolinos und des Poeten mit einem Instrument, das Baudolino noch nie gesehen hatte, ein mandelförmiges Ding mit vielen Saiten, und während er sanft diese Saiten zupfte, sang er in provenzalischer Sprache:
     
    Quan lo rius de la fontana
    S'esclarzis si cum far sol,
    E par la flors aiglentina
    E-l rossignoletz el ram
    Volv e refraing et aplana
    Son doutz chantar et afina,
    Dreitz es qu'ieu lo mieu refraigna.
     
    Wenn der Bach aus der Quelle
    hell sprudelt, wie sich's gehört,
    und die Hundsrose blüht
    und die Nachtigall auf dem Zweig
    anstimmt und dreht und wendet
    und verfeinert ihr süßes Lied,
    ist's recht, dass auch ich anstimme das meine.
     
    O meine Liebe in fernem Land,
    mein Herze leidet um dich,
    und ich finde keine Arznei,
    es sei denn, ich folgte deinem Ruf
    mit der Last süßer Liebe
    in einen Garten, hinter einen Vorhang,
    mit einer begehrten Gefährtin.
     
    Keinen Tag kann ich dir nahe sein,
    wen wundert's, dass ich entflamme.
    Nie gab es eine schönere Christin,
    noch eine Jüdin noch Sarazenin,
    denn Gott hat es nicht gewollt,
    und mit Manna ist wohlversorgt,
    wer nur ein wenig von deiner Liebe gewinnt.
     
    Mein Herz hört nicht auf zu begehren
    dich, die ich am innigsten liebe,
    und ich glaube, mein Wollen narrt mich,
    meine Begierde verdunkelt die Sonne.
    Denn stechender als ein Dorn
    ist der Schmerz, der die Liebeslust heilt,
    drum soll man mich nicht beweinen.
     
    Die Melodie war süß, die Akkorde weckten unbekannte oder schlummernde Leidenschaften, und Baudolino dachte an Beatrix.
    »Herr im Himmel«, seufzte der Poet, »warum kann ich nicht so schöne Verse schreiben?«
    »Ich will kein Dichter werden. Ich singe nur für mich, das genügt. Wenn du sie haben willst, schenke ich sie dir«, sagte Abdul großmütig.
    »O ja«, antwortete der Poet, »und wenn ich sie dann ins Deutsche übersetze, klingen sie schrecklich fade ...«
    Abdul wurde der Dritte in ihrem Bunde, und immer wenn Baudolino versuchte, nicht an Beatrix zu denken, nahm dieser verdammte Maure mit rotem Haar sein vermaledeites Instrument zur Hand und sang Lieder, die Baudolino das Herz zerspringen ließen.
     
    Wenn die Nachtigall

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