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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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jedoch waren Frauen das am schwersten Erreichbare für einen Studenten in Paris. Studentinnen gab es nur sehr wenige, und man hörte noch immer Legenden von der schönen Heloïse, die ihren Geliebten den Verlust seiner pudenda gekostet hatte, auch wenn es eine Sache war, Student zu sein, also per definitionem anrüchig und bloß geduldet, und eine andere, Professor zu sein wie der große und vom Unglück verfolgte Abaelard. Mit käuflicher Liebe ließ sich dem Mangel nicht sehr weit abhelfen, denn sie war teuer, und so musste man sehen, dass man da und dort eine Bedienung im Wirtshaus oder ein Mädchen im Viertel bezirzte, aber im Viertel gab es immer mehr Studenten als Mädchen.
    Es sei denn, man verstand es, mit lässiger Miene und keckem Blick auf der Isle de la Cité umherzuspazieren und Damen der guten Gesellschaft zu verführen. Sehr begehrt waren Gattinnen jener Metzger der Place de Grève, die nach einer ehrenvollen Berufskarriere nicht mehr eigenhändig schlachteten, sondern den Fleischmarkt beherrschten und wie Herren auftraten. Mit einem Gatten zur Seite, der als junger Mann Rinderviertel geschleppt und in fortgeschrittenem Alter einen gewissen Wohlstand erlangt hatte, waren die Damen empfänglich für den Charme der stattlicheren Studenten, um so mehr, je jünger diese waren. Aber die besagten Damen kleideten sich in pompöse Gewänder, geschmückt mit Pelzen, silbernen Gürteln und Juwelen, wodurch es auf den ersten Blick schwierig war, sie von den Luxus-Prostituierten zu unterscheiden, die es wagten, obwohl die Gesetze es ihnen verboten, sich in derselben Weise zu kleiden. Dadurch waren die Studenten peinlichen Missverständnissen ausgesetzt, derentwegen sie dann von ihren Freunden gehänselt wurden.
    Hinzu kam: Wenn es einmal gelang, eine wirkliche Dame zu erobern, oder gar ein noch unbescholtenes junges Mädchen, so merkte es früher oder später der Gatte oder der Vater, es kam zu Handgreiflichkeiten, wenn man nicht gar zu den Waffen griff, das Ergebnis war manchmal ein Toter und oft ein Verletzter, meist war es der Gatte oder der Vater, und dann gab es wieder Ärger mit den Bogenschützen des Prévost. Baudolino hatte nie jemanden umgebracht, und gewöhnlich hielt er sich auch von den Schlägereien fern, aber mit einem Gatten (und Metzger) hatte er es zu tun bekommen. In Liebe erglüht, aber vorsichtig in den Dingen des Krieges, hatte er, als der Gatte plötzlich hereinkam, in der Hand einen jener Fleischerhaken, mit denen man die geschlachteten Tiere aufhängt, sogleich aus dem Fenster zu springen versucht. Doch während er noch die Höhe abschätzte, fing er sich rechtzeitig vor dem Absprung einen Hieb ein, der seine Wange für immer mit einer Narbe zierte, die eines Kriegsmannes würdig gewesen wäre.
    Im übrigen geschah es auch nicht alle Tage, dass man weniger vornehme Damen eroberte, es verlangte geduldiges Warten (zum Schaden der Vorlesungen) und ganze Tage auf der Lauer am Fenster, wobei naturgemäß Langeweile aufkam. Wurde diese zu groß, gab man die Verführungsträume auf und goss Wasser auf die Passanten oder beschoss die Damen durch ein Blasrohr mit Erbsen oder rief den vorbeigehenden Magistern Spottnamen nach, und wenn diese sich dann empörten, verfolgte man sie in Grüppchen bis zu ihrem Haus und warf Steine an ihre Fenster, denn die Studenten waren ja schließlich diejenigen, die sie bezahlten, und hatten daher gewisse Rechte.
     
    Baudolino war faktisch dabei, Niketas zu erzählen, was er Beatrix verschwiegen hatte, nämlich dass er sich anschickte, einer jener Scholaren zu werden, die in Paris die artes liberales studierten oder in Bologna die Jurisprudenz oder in Salerno die Medizin oder in Toledo die Magie, die aber nirgendwo lernten, wie man sich wohlgesittet benahm. Niketas wusste nicht recht, ob er sich darüber empören, wundern oder amüsieren sollte. In Byzanz gab es nur private Schulen für Söhne wohlhabender Familien, man lernte dort ab dem zartesten Kindesalter Grammatik und las fromme Schriften sowie die Meisterwerke der Klassiker, ab dem elften Lebensjahr studierte man Poesie und Rhetorik, um zu lernen, Texte nach den literarischen Vorbildern der Antike zu schreiben, und je seltener die Begriffe waren, die man verwendete, je komplexer die syntaktischen Strukturen, desto mehr galt man als geeignet für eine leuchtende Zukunft in der kaiserlichen Verwaltung. Danach aber wurde man entweder Gelehrter in einem Kloster, oder man studierte bei Privatlehrern Dinge wie

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