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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Belagerung aufzugeben. Und was das Getreide angehe, davon sei zwar wirklich nicht mehr viel da, aber wenn man alles von überallher zusammenkratze und die Rosina damit vollstopfe, könne es gerade noch reichen, wobei man es ja nicht allzu genau nehmen müsse, denn wenn es einmal im Bauch sei, werde es schwierig sein, noch zu sagen, ob es Weizen oder Spreu war, und man brauche sich auch nicht die Mühe zu machen, vorher die Mehlwürmer oder Schaben rauszulesen, denn in Kriegszeiten fänden die sich auch im Brot.
     
    »Also hör mal, Baudolino«, sagte Niketas, »du willst mir doch nicht erzählen, dass ihr eine solche Albernheit allesamt ernst genommen habt.«
    »Nicht nur wir haben sie ernst genommen, wie du im folgenden sehen wirst, auch der Kaiser hat sie ernst genommen.«
     
    Die Geschichte ging tatsächlich so. Um die dritte Stunde jenes Karsamstags versammelten sich alle Konsuln und Honoratioren der Stadt in einem offenen Scheunenbau, wo eine Kuh lag, die man sich magerer und moribunder nicht vorstellen konnte, die Haut halb kahl, die Vorderbeine zwei dürre Stecken, die Euter dünn wie Ohren, die Ohren wie Zitzen, der Blick stumpf, schlaff sogar die Hörner, der Rest mehr Gerippe als Rumpf, weniger ein Rind als ein Gespenst von Rind, eine Kuh für den Totentanz, liebevoll gepflegt von Baudolinos Mutter, die ihr den Kopf streichelte und zu ihr sagte, im Grund sei's besser so, ihr Leiden werde ein Ende haben, aber erst nach einem guten Mahl, und so habe sie's besser als ihre Besitzer.
    Daneben trafen weiter Säcke mit Getreide und Saatgut ein, die man irgendwo zusammengesucht hatte und die Gagliaudo dem armen Tier mit aufmunternden Worten vors Maul hielt. Aber die Kuh sah inzwischen nur noch mit ächzendem Desinteresse auf die Welt und hatte schon ganz vergessen, was wiederkäuen bedeutete. So dass schließlich einige Freiwillige ihr die Beine festhielten, andere den Kopf, und wieder andere ihr gewaltsam das Maul öffneten, um, während sie ihren Protest schwach hinausmuhte, ihr die Körner in den Schlund zu stopfen, wie man es bei Gänsen macht. Dann, vielleicht aus Selbsterhaltungstrieb oder im Gedenken an bessere Zeiten, begann das Tier mit der Zunge in die gute Gottesgabe zu fahren und, halb aus eigenem Willen, halb mit Hilfe der Umstehenden, die Körner aufzuschlecken.
    Es war kein fröhliches Mahl, und nicht nur einmal schien allen Anwesenden, als sei Rosina gerade dabei, ihre Tierseele Gott zu befehlen, denn sie fraß, als würde sie gebären, zwischen einem Klageruf und dem anderen. Allmählich gewann jedoch ihre Lebenskraft die Oberhand, sie erhob sich auf ihre vier Beine und fraß von allein weiter, das Maul direkt in die Säcke tauchend, die man ihr hinhielt. Am Ende war das, was alle sahen, eine sehr seltsame Kuh, extrem hager und melancholisch, die Wirbel- und Rückenknochen so spitz hervorstechend, dass man meinte, sie wollten aus der ledernen Haut heraustreten, aber der Bauch prall gerundet wie bei Wassersüchtigen und so dick, als ob sie mit zehn Kälbchen schwanger sei.
    »Sie kann nicht gehen, sie kann nicht gehen«, sagte der Boidi kopfschüttelnd angesichts dieses traurigen Wunders. »Auch ein Dummkopf sieht doch, dass dies keine fette Kuh ist, sondern nur der Balg einer Kuh, den man vollgestopft hat ...«
    »Und selbst wenn sie jemand für fett hielte«, sagte Guasco, »wie soll man ernsthaft glauben, dass ihr Besitzer sie noch auf die Weide bringt, auf die Gefahr hin, dort seine Habe und sein Leben zu verlieren?«
    »Freunde«, sagte Baudolino, »vergesst nicht, dass die, die sie finden werden, gleich wer sie sein mögen, einen solchen Hunger haben, dass sie nicht lange nachsehen werden, ob sie hier mager und da fett ist.«
    Baudolino hatte recht. Um die neunte Stunde machte Gagliaudo sich mit der Kuh auf den Weg zu einer Wiese, die etwa eine halbe Meile außerhalb der Mauern lag, und kaum war er durchs Tor hinausgegangen, kam aus dem Wald eine Horde von Böhmen, die sicher Vögel jagen wollten, wenn es dort noch lebendige Vögel gegeben hätte. Sie erblickten die Kuh, ohne ihren hungrigen Augen glauben zu wollen, stürzten sich auf Gagliaudo, der sofort beide Hände hob, und schleppten ihn mitsamt dem Tier zu ihrem Lager. Bald hatte sich eine Schar von Kriegern mit eingefallenen Wangen und Stielaugen um sie versammelt, und der armen Rosina wurde sofort die Kehle durchschnitten von einem, der sein Handwerk offensichtlich verstand, denn er tat es mit einem einzigen Schnitt, und in der Zeit,

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