Die historischen Romane
Warner bedanken, dann sagte er zu Ditpold: »Also gut, ich biete dir an, berühmt zu werden. Gegen Abend stelle ich dir ein gutes Kontingent Sturmtruppen direkt vors Tor, ich lasse ein paar Schildkröten bei dem Dickicht postieren, damit es fast dunkel ist und nicht auffällt, wenn du mit deinen Leuten in den Tunnel steigst, ihr dringt in die Stadt ein, öffnet das Tor von innen, und von einem Tag auf den anderen bist du ein Held geworden.«
Der Bischof von Speyer erhob sogleich Anspruch auf das Kommando über die Truppe vor dem Tor, denn Ditpold sei für ihn, sagte er, wie ein Sohn, und das können wir uns denken.
Als Trotti am Nachmittag des Karfreitags sah, dass die Kaiserlichen sich vor dem Tor versammelten, und das, während es schon dunkelte, begriff er, dass es sich um eine Finte handelte, mit der die Aufmerksamkeit der Belagerten abgelenkt werden sollte, und dass der Schlaukopf Baudolino dahinterstecken musste. Daher beeilte er sich, nachdem er die Sache allein mit dem Guasco, dem Boidi und Oberto del Foro besprochen hatte, einen glaubwürdigen Sankt Peter herbeizuschaffen, und dazu bot sich einer der ältesten Konsuln an, Rodolfo Nebia, der das richtige Aussehen hatte. Sie verloren lediglich eine halbe Stunde mit der Diskussion über die Frage, ob der Heilige das Kreuz oder die berühmten Schlüssel in der Hand halten sollte, aber dann entschieden sie sich für das Kreuz, weil es im Dämmerlicht besser zu sehen sein würde.
Baudolino wartete nicht weit vom Tor entfernt. Er war sicher, dass es keinen Kampf geben würde, denn vorher würde jemand aus dem Tunnel herauskommen, um die Neuigkeit von der himmlischen Hilfe zu überbringen. Und tatsächlich, nach der Zeit, in der man drei Paternoster samt Ave und Gloria sprechen konnte, vernahm man aus dem Innern der Stadt einen großen Lärm, und eine übernatürlich klingende Stimme rief: »Zu den Waffen, zu den Waffen, meine getreuen Alexandriner!«, und ein Gewirr von irdischen Stimmen schrie durcheinander: »Das ist Sankt Peter, oh, oh, ein Wunder, ein Wunder!«
Aber genau da ging etwas schief. Wie Baudolino später erfuhr, hatten sie Ditpold und die Seinen prompt ergriffen und dann alles getan, um sie zu überzeugen, dass ihnen Sankt Peter erschienen sei. Vermutlich wären auch alle darauf hereingefallen, nur nicht Ditpold, der ja wusste, auf welchem Wege die Nachricht von der Entdeckung des Tunnels zu ihm gelangt war und dem nun – dumm war er schon, aber so dumm nun auch wieder nicht – der Verdacht kam, er könnte von Baudolino genarrt worden sein. So hatte er sich mit einem Ruck aus dem Griff seiner Häscher befreit, war in eine enge Gasse geschlüpft und hatte so laut zu brüllen begonnen, dass keiner verstand, in welcher Sprache er brüllte, und alle ihn im Zwielicht für einen der Ihren hielten. Doch als er dann auf der Mauer stand, war es klar, dass er sich an die Belagerer wandte, um sie vor einer Falle zu warnen – wobei man nicht recht verstand, wovor er sie schützen wollte, da die draußen Wartenden ja, wenn das Tor nicht aufging, nicht hineinkommen würden und folglich auch nichts riskierten. Aber gleichviel, gerade weil er dumm war, hatte dieser Ditpold Courage, er stand auf der Mauerkrone, schwenkte sein Schwert und forderte alle Alexandriner heraus. Welchselbige – wie es die Regeln einer Belagerung verlangen – nicht zulassen konnten, dass ein Feind die Mauer erreichte, mochte er auch von innen kommen; zudem waren nur wenige über die List informiert, und die anderen sahen plötzlich einen Deutschen mitten unter sich, als ob nichts wäre. So dass einer von ihnen es für gut hielt, Ditpold eine Pike in den Rücken zu rammen und ihn über die Mauerkrone zu werfen.
Als der Bischof von Speyer seinen viel geliebten Gefährten leblos zu Füßen des Torturms stürzen sah, geriet er außer sich und befahl den Angriff. In einer normalen Situation hätten sich die Alexandriner wie üblich verhalten und die Angreifer nur von oben beschossen, doch als die Feinde sich dem Tor näherten, hatte sich bereits das Gerücht verbreitet, dass Sankt Peter erschienen sei, um die Stadt vor einem Hinterhalt zu retten, und dass er einen siegreichen Ausfall anführen werde. Daher hatte Trotti das Missverständnis zu nutzen gedacht und seinen falschen Sankt Peter vorgeschickt, so dass er als erster herauskam und alle anderen nach sich zog.
Kurzum, Baudolinos Lügenmärchen, das die Köpfe der Belagerer hätte vernebeln sollen, vernebelte die der Belagerten:
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