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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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verborgenen Gegenstand auf der kleinen Säule, zog das Tuch mit einer theatralischen Geste weg und reichte dem Basileus etwas irgendwie Rundes, das er ihm mit beiden Händen hinhielt. Unsere Freunde konnten nicht erkennen, um was es sich handelte, aber sie sahen den Basileus erschrocken zurückweichen, als versuche er einen unerträglichen Anblick von sich fernzuhalten. »Nein, nein«, sagte er, »das nicht! Du hast es dir für deine Riten von mir erbeten, aber ich wusste nicht, dass du es mir erneut präsentieren würdest!«
    Zosimos hob seine Trophäe hoch und zeigte sie einem gedachten Publikum wie eine Monstranz, indem er sie nach allen Seiten der Krypta drehte. Es war das Köpfchen eines toten Kindes, die Züge noch unversehrt, als wäre es gerade eben erst vom Rumpf getrennt worden, die Augen geschlossen, die Flügel der schmalen Nase geweitet, die Lippen halb geöffnet, so dass sie eine unversehrte Zahnreihe entblößten. Die Reglosigkeit, die bestürzende Illusion von Lebendigkeit dieses Gesichts wurde noch feierlicher durch die Tatsache, dass es in einer gleichmäßig goldgelben Farbe erschien und im Licht der Flämmchen, denen Zosimos es nun näherte, beinahe strahlte.
    »Es war nötig, dass ich den Kopf deines Neffen Alexios benutzte«, sagte Zosimos zum Basileus, »damit der Ritus vollzogen werden kann. Alexios war dir durch Blutsbande verbunden, durch seine Vermittlung kannst du dich mit dem Reich der Toten in Verbindung setzen.« Nach diesen Worten tauchte er das grässliche kleine Ding langsam ins Wasser und ließ es auf den Grund des Beckens sinken, über dessen Rand sich Andronikos beugte, soweit es der Flammenkranz erlaubte. »Das Wasser trübt sich«, rief er erregt. »Es hat in Alexios das erwartete irdische Element gefunden und befragt es nun«, flüsterte Zosimos. »Warten wir, bis sich diese Wolken verziehen.«
    Unsere Freunde konnten nicht sehen, was im Wasser geschah, aber sie verstanden, dass es nach einer Weile wieder klar geworden war, so dass man am Grund des Beckens das Gesicht des kleinen Basileus sah. »Hölle und Teufel, es gewinnt seine natürliche Farbe wieder«, stammelte Andronikos, »und ich lese Schriftzeichen auf seiner Stirn ... O Wunder ... Jota, Sigma ...«
    Man brauchte kein Hydromant zu sein, um zu begreifen, was geschehen war. Zosimos hatte den Kopf des kindlichen Kaisers genommen, hatte ihm zwei Buchstaben in die Stirn geritzt und ihn dann mit einer wasserlöslichen goldgelben Farbe bestrichen. Jetzt, als sich diese künstliche Patina aufgelöst hatte, übergab das unglückliche Mordopfer dem Auftraggeber seiner Ermordung die Botschaft, die ihm Zosimos, oder wer immer ihn inspiriert haben mochte, offenbar zukommen lassen wollte.
    Tatsächlich fuhr Andronikos fort zu buchstabieren: »Jota, Sigma, IS ... IS ...« Er richtete sich auf, fuhr sich mehrmals mit den Händen durch den Bart, schien Feuer aus den Augen zu sprühen, beugte den Kopf, wie um nachzudenken, hob ihn dann plötzlich wie ein feuriges Pferd, das sich kaum zu halten vermag, und brüllte: »Isaakios! Der Feind ist Isaakios Komnenos! Was spinnt er für Ränke dort unten in Zypern? Ich werde eine Flotte hinschicken und ihn vernichten, ehe er sich auf den Weg machen kann, der Elende!«
    Einer der beiden Begleiter trat aus dem Dunkel, und Baudolino dachte bei seinem Anblick, dass er aussah wie jemand, der nicht zögern würde, die eigene Mutter zu rösten, wenn er kein Fleisch auf dem Tisch vorfände. »Herr«, sagte der Betreffende, »Zypern ist zu weit entfernt, und deine Flotte müsste durch die Propontis fahren, in der sich zur Zeit die Schiffe des Königs von Sizilien tummeln. Aber wie du nicht zu Isaakios kannst, so kann auch er nicht zu dir. Ich würde nicht an den Komnenen denken, sondern an Isaakios Angelos, der hier in der Stadt ist und von dem du weißt, wie wenig er dich liebt.«
    »Ha, Stephanos«, lachte Andronikos verächtlich, »du meinst, ich soll mich vor Isaakios Angelos fürchten? Wie kannst du glauben, dass dieser schlaffe Sack, dieser Impotente, dieser Versager und Taugenichts auch nur daran denken könnte, mich zu bedrohen? Zosimos, Zosimos«, fauchte er den Hydromanten an, »dieses Wasser und dieser Kopf verweisen mich entweder auf einen, der zu weit weg ist, oder auf einen, der zu dumm ist! Wozu hast du Augen im Kopf, wenn du in diesem Topf voller Pisse nicht lesen kannst?« Zosimos begriff, dass er auf bestem Wege war, sein Augenlicht zu verlieren, aber zu seinem Glück schaltete sich

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