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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unten die Stadtmauern mit ihren Türmen. Dann erhob sich auf einmal ein großer Schatten, noch verdeckt von Nebelschwaden, die vom Gipfel einer Anhöhe aufstiegen und davonflogen, bis man in vollendeter Harmonie und glänzend unter den Strahlen der ersten Morgensonne die Kuppel der Hagia Sophia daliegen sah, als wäre sie durch ein Wunder aus dem Nichts aufgestiegen.
    Von diesem Moment an war es eine ununterbrochene Offenbarung, mit weiteren Türmen und weiteren Kuppeln, die vor einem immer klarer werdenden Himmel auftauchten, inmitten eines Triumphes von Grün, vergoldeten Säulen, weißen Peristylen, rosa Marmorwänden und der ganzen Pracht des Kaiserpalastes von Bukoleon mit seinen Zypressen in einem vielfarbigen Labyrinth von hängenden Gärten. Und dann die Mündung des Goldenen Horns mit der großen Kette, die den Eingang versperrte, und rechts der weiße Turm von Galata.
     
    Baudolino erzählte bewegt, und Niketas wiederholte mehrmals mit Wehmut, wie schön Konstantinopel gewesen war, als es schön war.
    »Ah, es war eine Stadt voll brodelnder Emotionen«, sagte Baudolino. »Kaum angelangt, bekamen wir sofort eine Ahnung von dem, was geschehen sein musste. Als wir zum Hippodrom kamen, begann dort gerade die Hinrichtung eines Feindes des Basileus ...«
    »Andronikus wütete wie ein Rasender. Eure Lateiner aus Sizilien hatten Thessalonike mit Feuer und Schwert heimgesucht, Andronikos hatte ein paar Befestigungsarbeiten machen lassen, dann aber hatte er sich nicht mehr für die Gefahr interessiert. Er gab sich seinem ausschweifenden Leben hin, behauptete, dass man die Feinde nicht fürchten müsse, ließ jene einkerkern, die ihm hätten helfen können, verließ die Stadt mit einem Schwarm von Hetären und Dirnen, verkroch sich wie das Wild in Bergesschluchten oder grünen Hainen, zog seinen Geliebten voran wie der Hahn seinen Hennen, wie Dionysos seinen Bacchantinnen, es fehlte nur noch, dass er sich ein Hirschkalbfell umhängte und ein safrangelbes Gewand trug. In seinem Palast umgab er sich mit Flötenspielerinnen und Hetären, dem Genuss frönend wie Sardanapal, geil wie ein Polyp, und wenn ihm für seine Ausschweifungen die Kräfte fehlten, verzehrte er ein ekliges, krokodilähnliches Reptil, das im Nil lebt und angeblich die Zeugungskraft anregt ... Ich möchte aber nicht, dass du ihn für einen schlechten Herrscher hältst. Er hat auch viele gute Dinge getan, er hat die Steuern und Abgaben begrenzt, er ist mit Nachdruck gegen den üblen Brauch vorgegangen, in Seenot geratene Schiffe an den Küsten und in den Häfen auszuplündern, anstatt ihnen Hilfe zu bringen, er hat die alte unterirdische Wasserleitung erneuert, er hat die Kirche der Vierzig Heiligen Märtyrer restaurieren lassen ...«
    »Also alles in allem ein braver Mann ...«
    »Leg mir nicht Dinge in den Mund, die ich nicht gesagt habe. Ich meine, ein Herrscher kann seine Macht nutzen, um Gutes zu tun, aber um seine Macht zu behalten, muss er Böses tun. Auch du hast bei einem Machthaber gelebt, auch du hast eingeräumt, dass er edel und jähzornig sein konnte, grausam und auf das Gemeinwohl bedacht. Die einzige Möglichkeit, nicht zu sündigen, ist, sich von allem abzusondern, am besten hoch oben auf einer Säule, wie es die heiligen Väter einst taten, aber heute sind diese Säulen zerbrochen.«
    »Ich will nicht mit dir diskutieren, wie man dieses Reich regieren müsste. Es ist euer Reich, oder jedenfalls war es das. Ich fahre in meiner Erzählung fort. Wir quartierten uns hier ein, hier bei diesen Genuesern, denn du wirst dir schon gedacht haben, dass sie meine treuesten Spione waren. Und kein anderer als Boiamondo entdeckte eines Tages, dass der Basileus sich am selben Abend in die alte Krypta von Katabate begeben würde, um an Praktiken der Wahrsagung und Magie teilzunehmen. Wenn wir Zosimos finden wollten, war das eine gute Gelegenheit.«
     
    Nach Einbruch der Dunkelheit begaben sie sich zur Konstantinsmauer, wo es nicht weit von der Kirche der Heiligen Apostel so etwas wie einen kleinen Pavillon gab. Von da aus, sagte Boiamondo, gelange man direkt in die Krypta, ohne durch die Kirche des Klosters gehen zu müssen. Er öffnete eine Tür, ließ sie ein paar glitschige Stufen hinuntersteigen, und sie fanden sich in einem feucht-muffig riechenden Gang.
    »Da«, sagte Boiamondo, »geht ein Stück vor, und ihr seid in der Krypta.«
    »Kommst du nicht mit?«
    »Ich komme nicht mit an Orte, wo man Sachen mit Toten macht. Um Sachen zu machen, ziehe

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