Die historischen Romane
Körpers?«
»Ja, in gewissem Sinne. Amparo hat ihren Geist grimmig bewacht und nicht auf ihren Körper geachtet. Die Laien sind schwächer als wir.«
Es war sehr spät geworden. Agliè eröffnete mir, dass er im Begriff stand, Brasilien zu verlassen. Er gab mir seine Adresse in Mailand.
Als ich nach Hause kam, schlief Amparo schon. Ich legte mich schweigend neben sie, ohne Licht anzumachen, und verbrachte die Nacht schlaflos. Mir war, als läge ein unbekanntes Wesen neben mir.
Am nächsten Morgen teilte Amparo mir trocken mit, sie werde nach Petropolis fahren, um eine Freundin zu besuchen. Wir verabschiedeten uns verlegen.
Sie ging davon mit einer Segeltuchtasche und einem Buch über politische Ökonomie unterm Arm.
Zwei Monate lang ließ sie nichts von sich hören, und ich suchte nicht nach ihr. Dann schrieb sie mir einen knappen, sehr allgemein gehaltenen Brief. Schrieb, sie brauche eine Zeit der Besinnung. Ich anwortete nicht.
Ich empfand keinen Schmerz, keinen Groll, keine Sehnsucht. Ich fühlte mich leer, luzide, gereinigt und blankgeputzt wie ein Aluminiumtopf.
Ich blieb noch ein weiteres Jahr in Brasilien, aber nun mit dem Gefühl, immer schon halb auf dem Sprung nach Europa zu sein. Ich sah Agliè nicht wieder, ich sah Amparos Freunde nicht wieder, ich verbrachte lange Stunden am Strand, um mich zu sonnen.
Ich ließ Drachen steigen, die da unten sehr schön sind.
5
GEBURAH
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Beydelus, Demeymes, Adulex, Metucgayn, Atine,
Ffex, Uquizuz, Gadix, Sol, Veni cito cum tuis spiritibus.
Picatrix , Ms. Sloane 1305, 152, verso
Der Bruch der Gefäße. Diotallevi sprach oft von der späten Kabbalistik Isaak Lurias, in der die geordnete Artikulation der Sefiroth sich verlor. Die Schöpfung, sagte er, sei ein heftiges Ein- und Ausatmen Gottes, heftig wie ein Keuchen oder das Fauchen eines Blasebalgs.
»Das Große Asthma Gottes«, glossierte Belbo.
»Versuch du mal aus dem Nichts zu schaffen. So was macht man nur einmal im Leben. Um die Welt zu blasen, wie man eine Glaskugel bläst, muss Gott sich zuerst in sich selbst zurückziehen, um Atem zu schöpfen, und dann bläst er den langen Lichterhauch der zehn Sefiroth heraus.«
»Licht oder Hauch?«
»Gott haucht, und es ward Licht.«
»Multimedia.«
»Aber die Lichter der Sefiroth müssen in Gefäße eingefasst werden, die ihrem Strahlen standzuhalten vermögen. Die Gefäße der drei ersten, Kether, Chochmah und Binah, hielten ihrem Leuchten stand, während bei den unteren Sefiroth, von Chessed bis Jessod, das Licht und der Hauch in einem Zuge mit solcher Heftigkeit ausströmten, dass die Gefäße zerbrachen. Die Fragmente des Lichts zerstreuten sich durchs Universum, und so entstand die rohe Materie.«
Der Bruch der Gefäße sei eine ernste Katastrophe, sagte Diotallevi bedrückt, nichts sei unbewohnbarer als eine fehlgeschlagene Schöpfung. Es müsse von Anfang an einen Fehler im Kosmos gegeben haben, und auch die klügsten Rabbiner hätten ihn nicht vollständig zu erklären vermocht. Vielleicht seien in dem Moment, als Gott ausatmete und sich entleerte, im Urgefäß ein paar Tröpfchen Öl geblieben, ein materieller Rückstand, der Reschimu , und Gott habe sich zusammen mit diesem Rückstand verströmt. Oder irgendwo hätten bereits die Qelippoth auf der Lauer gelegen, die »Schalen« oder Kräfte des Bösen.
»Fiese Leute, diese Qelippoth «, meinte Belbo, »Agenten des teuflischen Doktor Fu Man-Chu ... Und dann?«
Und dann, erklärte Diotallevi geduldig, im Licht von Geburah, dem Strengen Gericht, auch Din, die Strafgewalt, oder Pachad, die Furcht genannt, der Sefirah, in der nach Isaak dem Blinden das Böse sich zeigt, gelangten die Schalen zu realer Existenz.
»Sie sind unter uns«, sagte Belbo.
»Schau dich um«, sagte Diotallevi.
»Und wie kommt man da raus?«
»Es geht eher darum, wieder reinzukommen«, sagte Diotallevi. »Alles fließt aus Gott in der Kontraktion des Zimzum . Unser Problem ist, den Tiqqun zu realisieren, die Rückkehr, die Reintegration des Adam Kadmon. Also müssen wir das Ganze in der ausgewogenen Form der Parzufim rekonstruieren, der Gesichter oder Gestalten, die den Platz der Sefiroth einnehmen werden. Der Aufstieg der Seele ist wie eine seidene Schnur, die dem Frommen erlaubt, sich im Dunkel den Weg zum Licht zu ertasten. So bemüht sich die Welt jeden Augenblick, indem sie die Lettern der Torah kombiniert, die natürliche Form wiederzufinden, die sie aus ihrer grauenhaften Verwirrung
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