Die historischen Romane
führten sie zu einer Sitzbank, wo sie schweißüberströmt und keuchend Platz nahm. Sie weigerte sich, die Gläubigen zu empfangen, die herbeigeströmt kamen, um Orakel von ihr zu hören, und fing an zu weinen.
Der Ritus ging langsam zu Ende, ich verließ das Podium und lief rasch zu ihr hinüber. Agliè war schon bei ihr und massierte ihr sanft die Schläfen.
»So eine Schande!« jammerte sie. »Ich glaube nicht dran, ich wollte es nicht, aber was konnte ich machen?«
»Kommt vor, kommt vor«, sagte Agliè beruhigend.
»Aber dann gibt's keine Rettung«, schluchzte Amparo. »Ich bin immer noch eine Sklavin ... Geh weg, du!« fuhr sie mich an. »Ich bin 'ne dreckige arme Negerin, gebt mir einen Herrn, ich verdien's nicht besser!«
»Das ist auch den blonden Achäern passiert«, tröstete sie Agliè. »Das ist die menschliche Natur ... «
Amparo bat, zur Toilette geführt zu werden. Die Zeremonie war so gut wie beendet. Nur die Deutsche tanzte noch mitten im Saal, nachdem sie mit neidischen Blicken verfolgt hatte, wie es Amparo ergangen war. Aber sie bewegte sich nur noch verbissen.
Amparo kam nach zehn Minuten zurück, als wir andern uns schon von dem Pai-de-santo verabschiedeten, der sich hocherfreut zeigte über den großartigen Erfolg unseres ersten Kontakts mit der Welt der Toten.
Agliè fuhr schweigend durch die nun schon tiefe Nacht und wollte sich gleich verabschieden, als er vor unserem Hause hielt. Amparo sagte jedoch, sie würde lieber allein hinaufgehen. »Mach noch ein paar Schritte«, schlug sie mir vor, »und komm zurück, wenn ich schon schlafe. Ich werde eine Tablette nehmen. Entschuldigt mich, alle beide. Ich hab's ja gesagt, ich muss was Schlechtes gegessen haben. Alle diese Mädchen haben was Schlechtes gegessen und getrunken. Ich hasse mein Land. Gute Nacht.«
Agliè verstand mein Unbehagen und schlug mir vor, noch in eine Bar an der Copacabana zu gehen, die die ganze Nacht über offen hatte.
Wir saßen schweigend da. Agliè wartete, bis ich meine batida zu schlürfen begann, dann brach er das Schweigen und die Verlegenheit.
»Die Rasse, oder die Kultur, wenn Sie so wollen, ist ein Teil unseres Unbewussten. Und ein anderer Teil ist von Archetypen bewohnt, die für alle Menschen und alle Zeiten gleich sind. Heute Abend haben Klima und Umgebung in uns allen die Wachsamkeit geschwächt, Sie haben es an sich selbst gemerkt. Amparo hat entdeckt, dass die Orixás, die sie in ihrem Herzen vernichtet zu haben glaubte, noch in ihrem Bauche wohnen. Glauben Sie nicht, ich hielte das für etwas Positives. Sie haben mich respektvoll von diesen übernatürlichen Kräften reden hören, die hier in diesem Lande um uns vibrieren. Aber glauben Sie nicht, dass ich die Praktiken der Ekstase mit besonderer Sympathie sähe. Es ist nicht dasselbe, ob man ein Initiierter oder ein Mystiker ist. Die Initiation, das intuitive Verständnis der Mysterien, die der Verstand nicht zu erklären vermag, ist ein abgründiger Prozess, eine langsame Transformation des Geistes und des Körpers, die zum Erwerb höherer Eigenschaften führen kann und sogar zum Erwerb der Unsterblichkeit, aber sie ist etwas Intimes, Geheimes. Sie manifestiert sich nicht äußerlich, sie ist schamhaft, und vor allem besteht sie aus Luzidität und Distanz. Deswegen sind die Herren der Welt Initiierte, Eingeweihte, aber sie geben sich nicht der Mystik hin. Der Mystiker ist für sie ein Sklave, Ort einer Manifestation des Numinosen, durch welchen die Symptome eines Geheimnisses sichtbar werden. Der Initiierte ermuntert den Mystiker, er bedient sich seiner, wie Sie sich des Telefons bedienen, um Kontakte über Distanzen hinweg herzustellen, wie der Chemiker sich des Lackmuspapiers bedient, um zu erfahren, mit was für einer Substanz er's zu tun hat. Der Mystiker ist nützlich, denn er ist theatralisch, er stellt sich zur Schau. Die Initiierten dagegen erkennen sich nur untereinander. Der Initiierte kontrolliert die Kräfte, die der Mystiker nur erleidet. In diesem Sinne besteht kein Unterschied zwischen der Besessenheit dieser Cavalos und der Ekstase einer heiligen Theresa von Avila oder eines San Juan de la Cruz. Der Mystizismus ist eine degradierte Form des Kontaktes mit dem Göttlichen.
Die Initiation dagegen ist das Ergebnis einer langen Askese des Geistes und des Herzens. Der Mystizismus ist ein demokratisches Phänomen, wenn nicht ein demagogisches, die Initiation ist aristokratisch.«
»Eine Sache des Geistes und nicht des
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