Die historischen Romane
wieder passierbar geworden und die Faschisten hatten sich verdrückt. Es wurde allmählich dunkel. Nach einer Weile erschienen sowohl mein Vater wie meine Großmutter, um jeder sein Abenteuer zu erzählen. Meine Mutter und Tante Caterina machten etwas zu essen, während Onkel Carlo und Adelino Canepa wieder feierlich schwiegen. Den ganzen restlichen Abend lang hörten wir in den Hügeln noch ferne Schüsse. Die Partisanen verfolgten die Flüchtenden. Wir hatten gesiegt.«
Lorenza küsste ihn auf die Haare, und Belbo schniefte. Er wusste, dass er bloß durch kämpfende Mittelspersonen gesiegt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur einen Film gesehen. Doch für einen Augenblick, als er den Querschläger draußen im Flur riskierte, hatte er in dem Film mitgespielt. Nur eben mal rasch, wie in Hellzapoppin' , wenn die Rollen vertauscht werden und ein Indianer zu Pferd auf einem Tanzfest erscheint und fragt, wohin sie gelaufen sind, und jemand sagt »dahin«, und er verschwindet in eine andere Geschichte.
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Im auffschwingen aber hat sie so kräfftig in ihr
schöne Posaunen gestossen, das der gantze Berg
davon erhallet, vnnd ich fast ein Viertelstund hernach
mein eygen wort kaum mehr gehöret.
Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit
Christiani Rosencreutz , Straßburg 1616, 1, p. 4
Wir waren beim Kapitel über die Wunder der Wasserleitungen, und in einem frühbarocken Stich aus den Spiritalia von Heron sah man eine Art Altar mit einem Roboter darauf, der – kraft einer sinnreichen Dampfvorrichtung – Trompete spielte.
Ich brachte Belbo erneut auf seine Kindheitserinnerungen: »Aber sagen Sie, wie war das mit diesem Don Ticho Brahe oder wie der hieß, der Ihnen das Trompetespielen beigebracht hatte?«
»Don Tico. Ich habe nie erfahren, ob das ein Spitzname war oder ob er wirklich so hieß. Ich bin nie mehr ins Oratorium gegangen. Hingekommen war ich per Zufall – die Messe, der Katechismus, die vielen Spiele, und wer gewonnen hatte, kriegte ein Bildchen des seligen Domenico Savio, jenes Burschen mit zerknitterten Hosen aus grobem Leinen, der bei den Statuen immer an die Soutane von Don Bosco geklammert steht, die Augen zum Himmel gerichtet, um nicht die Zoten zu hören, die seine Kameraden erzählen. Nun, ich entdeckte, dass Don Tico eine Blaskapelle zusammengestellt hatte, aus lauter Jungs zwischen zehn und vierzehn Jahren. Die Kleinen spielten Klarinette, Pikkoloflöte und Sopransaxophon, die Größeren schafften das Bombardon und die Große Trommel. Sie hatten Uniformen, Khaki-Jacken und blaue Hosen, dazu Schirmmützen. Ein Traum, ich wollte dabeisein. Don Tico sagte, er könnte ein Baryton brauchen.«
Belbo musterte uns überlegen und dozierte: »Das Baryton ist eine Art kleine Tuba, ähnlich dem eher bekannten Tenorhorn in B. Es ist das dümmste Instrument in der ganzen Kapelle. Es macht Umpa-Umpa-Umpapaa, wenn der Marsch losgeht, und nach dem Parapapaa-Parapapaa geht es zu raschen Stößen über und macht Pa-Pa-Pa-Pa-Pa… Aber es ist leicht zu erlernen, es gehört zur Familie der Blechblasinstrumente wie die Trompete, und seine Mechanik ist die gleiche wie bei der Trompete. Die Trompete erfordert mehr Atem und einen guten Ansatz – ihr wisst schon, diese kleine runde Schwiele, die sich auf den Lippen bildet, wie bei Louis Armstrong. Mit einem guten Ansatz spart man Atem, und der Ton kommt klar und sauber heraus, ohne dass man das Pusten hört, andererseits darf man auf keinen Fall die Backen aufblasen, wehe, das gibt's nur beim Vortäuschen und in den Karikaturen.«
»Und was war mit der Trompete?«
»Die Trompete hab ich allein gelernt, an den Sommernachmittagen, wenn keiner im Oratorium war und ich mich im Parkett des kleinen Theaters versteckte… Aber ich hab sie aus erotischen Gründen gelernt. Seht ihr die kleine Villa dort unten, etwa einen Kilometer vom Oratorium entfernt? Dort wohnte Cecilia, die Tochter der Wohltäterin des Salesianer-Ordens. Naja, und so kam es, dass jedes Mal, wenn die Kapelle aufspielte, zu den Festen, nach der Prozession, im Hof des Oratoriums und vor allem im Theater, bevor die Laienspielgruppe auftrat, dann saß Cecilia da mit ihrer Mama, vorn in der ersten Reihe auf den Ehrensitzen, neben dem Domprobst. Und die Kapelle spielte dann immer einen Marsch, der hieß Buon Principio und wurde von den Trompeten eröffnet, den Es-Trompeten aus Gold und Silber, die extra für diesen Anlass blankgeputzt worden waren. Die Trompeter standen auf und spielten
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